Da saßen wir nun in der Neujahrsnacht um 1:30 Uhr zu dritt in einem Taxis japanischer Bauart mit dem Fahrersitz auf der rechten Seite und fuhren in der sternenklaren Nacht hinaus nach Stolby, als ich mit Schrecken bemerkte, dass ich meinen Fotoapparat bei den Slinkowas habe liegen lassen.
"Keine Panik", meinte Ira (natürlich auf Russisch). "Ich habe meine Kamera dabei."
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Dieses Foto entstammt noch meiner Reserve |
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Andrej, Ira und Nadja am vollgestellten Tisch |
Wer einmal eine Nachtwanderung durch die wundervolle, verschneite Natur bei etwa -8°C gemacht hat, wird ungefähr nachvollziehen können, welches besondere Ereignis das diesjährige Neujahrsfest für mich war. Da konnte ich denn nach dem herrlichen Abend in Familie auch noch die schöne Natur der sibirischen Taiga bei Nacht erleben! So wanderten wir also in aller Ruhe in der Stille der Dunkelheit durch zum Teil knietiefen Schnee den steilen Berg zu der bereits mehrfach erwähnten Wanderhütte hinauf. Man sollte ja meinen, dass einem bei -8°C im Schnee kalt werden könnte, aber das wäre völlig falsch gedacht. Der Schweiß troff mir angesichts des manchmal sehr anstrengenden Aufstiegs aus allen Poren, so dass ich dann richtig froh war, als wir die Hütte erreichten. Doch welch einen Schock erlebte ich erst mit dem Eintritt in diese besondere Welt der Stolbysti! Nein, es war nicht der Umstand, dass die sonst sehr spärlich beleuchtete Hütte jetzt im hellen Glanz einer elektrischen Lampe (draußen lief ein Dieselgenerator) erstrahlte. Der Schock kam von dem kleinen Kanonenofen, der hier eine Hitze von wohl 40°C ausstrahlte und noch unterstützt wurde von dem kleinen Feuer des Gaskochers und den vielen menschlichen "Heizstrahlern". Vor uns öffnete sich der Blick auf den massiven Holztisch, umringt von etwa acht fröhlich feiernden Wanderern auf Holzbänken. Auf dem Tisch standen wiederum eine Vielzahl von Schüsseln mit Salaten, Teller mit Brot, Wurst, Käse, ein großer Topf mit heißem Teewasser und die dazugehörenden Becher - und es kamen noch einige Flaschen hinzu, über deren Inhalt ich gern den schweigsamen Mantel der Diskretion breiten möchte.
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Ohne Worte |
Wir setzten uns also dazu und feierten mit den Freunden in der Hütte weiter die ganze Nacht hindurch. Anfangs hatte ich allerdings einige Probleme in dieser Runde, denn dieses Mal war da niemand, der mir die zum Teil etwas raueren Scherze der Russen erklären oder übersetzen konnte. Ich fühlte mich ein wenig außerhalb der ganzen Runde, bis eines der anwesenden Mädchen mich fragte, ob ich als Deutscher jetzt am Gymnasium Nr. 6 arbeitete. Wie sich herausstellte, hatte auch sie an unserer Schule Deutsch gelernt und arbeitete nun als Dolmetscherin für eine deutsche Firma in Krasnojarsk. So konnte ich mich doch auch zu komplizierteren Dingen äußern und zu vorgerückter Stunde noch einen der hier üblichen Toasts ausbringen:
Ich freue mich heute hier bei euch zu sein und möchte mich ganz besonders für diese außerordentliche Ehre bedanken. Es ist ja höchst ungewöhnlich, dass ein Nicht-Stolbysti von der Existenz dieser Hütte weiß. Und deshalb ehrt es mich ganz besonders, dass ich als Ausländer schon bei meiner allerersten Wanderung in Stolby die urgemütliche Atmosphäre dieser Hütte kennenlernen durfte. Euch allen wünsche ich denn auch für dieses Jahr 2012 alles nur erdenklich Gute und immer einen Schutzengel bei den Klettertouren.
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Hier habe ich "geschlafen" - urgemütlich, oder? |
Ja, ich muss es jetzt einfach zugeben, wir tranken jetzt noch einige Gläser Wodka, wobei ich, mich immer an mein Versprechen haltend, niemals 100g zu mir nahm, sondern grundsätzlich nur kleine Gläschen annahm, so dass ich gegen 7:30 Uhr recht unbescholten in mein Bett ging und schlief. Schlief? Nein, daran war gar nicht zu denken! Nicht die im Obergeschoss gedämpften Partygeräusche machten den Schlaf unmöglich, sondern die unsägliche Hitze. So döste ich denn eher als dass ich erholsamen Schlaf fand. Und dennoch erhob ich mich relativ fit gegen 13:00 Uhr und setzte mich wieder an die nunmehr zum Frühstückstisch deklarierte Tafel. Die Feier war aber beileibe nicht beendet, sondern ging nun in die nächste Phase. Wie also macht man einem schon etwas angetüterten Russen klar, dass man keinen weiteren Alkohol mag? Ich versuchte es, indem ich auf krank und traurig spielte, indem ich fast unhöflich ablehnte: "Ich will und kann nicht mehr!" Allein, es half nur bedingt. Ich schaffte es, jegliches Unheil von mir abzuhalten, konnte aber nicht gut völlig abstinent bleiben.
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Einer der offiziellen Wanderwege, die von Touristen benutzt werden |
Am späten Nachmittag unternahmen wir dann doch noch eine kleine Wanderung, bevor Dascha und ich uns von den anderen verabschiedeten. Wir beide wollten noch an diesem Abend zuhause sein, während die Übrigen eine weitere Nacht in der Hütte feierten. Nun ging es in einem gewaltigen Tempo die sechs Kilometer zurück zur Bushaltestelle, von wo wir dann in die Stadt fuhren. Zuhause angekommen, war ich - das muss ich schon zugeben - ein wenig erschöpft aber unglaublich glücklich über diesen fantastischen Start ins neue Jahr.
Möge dieses Jahr 2012 allen Lesern dieses Blogs ebenso viel Freude bringen, wie mir diese Neujahrsnacht und der folgende Tag!
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