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Winterlandschaft vor dem Theater |
Man muss sich mal den Irrsinn des Lebens vorstellen: Da fährt ein Deutscher bis weit nach Sibirien, um die italienische Oper eines österreichischen Komponisten auf russisch zu genießen. Ja ganz richtig; in unserem Operntheater wurde heute Mozarts "Le nozze di Figaro" auf Russisch gesungen - und es war ein ganz besonderes Erlebnis!
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Diliara von der kalten Wintersonne beschienen |
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Den Theatervorhang durfte ich noch photographieren |
Diliara, eine Deutschkollegin tartarischen Ursprungs, hatte zwei Karten ganz vorn im Parterre besorgt, so dass wir dieses Mal nicht nur die Umrisse der Sänger sahen, sondern auch deren Mimik im Detail studieren konnten.Genau das wollte ich denn auch tun, denn es sollte mir angesichts mangelnder Sprachkenntnisse helfen, die Stimmungen und Positionen der einzelnen Charaktere einzuordnen. Um die etwas verworrene Handlung zu durchblicken, ist es immer ratsam, vorab einen guten Opernführer zu Rate zu ziehen, was ich denn auch getan hatte. Glücklicherweise werden Opern in Russland nur selten modernisiert, so dass ich mich nicht erst durch einen Trupp zerlumpter Bauarbeiter oder snobistischer Banker zu kämpfen hatte, sondern gleich den in seinem Zimmer auftretenden Figaro erkannte. Erst glaubte ich, es wäre ein Kunstgriff der Maske gewesen, der ihm ein unglaublich strenges Aussehen gab. Doch mit der Zeit wurde offensichtlich, dass dieser Bassbariton ganz natürlich seine Augen zu einem fast zornigen Blick aufgestellt hatte - und das passte, denn die Figur des Figaro ist wohl die intelligenteste in der sonst so leichten Komödie. Welch eine Ergänzung bildete dazu der stets amüsierte Blick der jungen Susanna, die besonders im Duett mit dem jungen Pagen Cherobino einen geradezu schelmischen Gesichtsausdruck aufsetzte. Ganz im Gegensatz dazu trat ein hochgewachsener, in Würde ergrauter Herr als Graf auf und war kaum in der Lage, direkt ins Publikum zu sehen, da ihn sein Standesdünkel zwang, die Nase (fast) immer höher als die Stirn zu tragen. Doch im Laufe der Geschichte lernt bekanntlich auch dieser intellektuell etwas einfachere Charakter Demut und kann auf diese Weise viel Sympathie gewinnen. Beim Anblick der schönen und herrschaftlichen Gräfin, die zudem ein sehr angenehmes Wesen hatte, fragte ich mich mehrfach, warum denn dieser dumme Graf der Susanna nachstellte, wo doch sein Eheweib ebenso schön und nett ist.
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Ein eisiges "Riesen"Rad vor dem Theater |
Für mich aber die interessanteste Figur war der kleine Cherubino, hier gesungen von einem burschikos auftretenden Mädchen. Diese Rolle verlangt der Sängerin doch einiges an schauspielerischer Leistung ab, denn wenn eine junge Frau einen etwas linkischen Jungen, der sehr männlich erscheinen will, spielen muss, dann erfordert das mit Sicherheit großes Können. Zudem wird der kleine Cherubino noch in Frauenkleider gesteckt und muss inmitten des Chores der Bäuerinnen einen etwas ungelenken Part spielen. Andererseits wird der arme Kerl die ganze Zeit von allen anderen herumgeschubst und zieht immer den Kürzeren, so dass ich am Ende besonders glücklich war, als er seine liebe Barbarina in die Arme schließen konnte. So gab es denn am Endes des Stückes wieder reichlich Beifall und Standing Ovations für die ganze Truppe.
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Herr Jasser nannte es kitschig - aber es bringt doch Licht und Farbe! |
Nach etwa drei Stunden im gut beheizten Theater mussten wir nun also wieder hinaus in die Kälte, was eine ziemlich große Umstellung bedeutet. Denn wenn bei unter -30°C noch ein kräftiger Wind vom Fluss her weht, dann beißt das ganz enorm im Gesicht. Dennoch besuchten wir noch einmal den Eiskunstpark in der Nähe des Theaters, um die wundervollen Figuren im farbenfrohen Licht der Krasnojarsker Nacht zu betrachten, und bestiegen den Bus nach Hause erst, als der Frost kaum noch erträglich war.
In den Bussen ist die Ansage der einzelnen Haltestellen mittlerweile zu einer Notwendigkeit für mich geworden, denn durch die von innen zugefrorenen Fensterscheiben kann man nicht mehr sehen, wo man sich gerade befindet. Und so kam ich dann gegen 22:30 Uhr zuhause an, innerlich gut gewärmt durch die Kunst, äußerlich ein wenig durchgefroren durch "крещенские морозы".
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