Mittwoch, 28. Dezember 2011

Землетрясение в Красноярске

Dieses Bett wackelte - ich war erschrocken
Das Epizentrum in der Nähe von Kyzyl/ Republik Tuva
Ich bin gestern abend gegen 23.00 Uhr in mein großes Bett gestiegen, um noch einige Seiten der "Briefe in die chinesische Vergangenheit" von H. Rosendorfer, einem sehr empfehlenswerten Buch über die Zeitreise eines chinesischen Mandarins ins München der 1980er Jahre, zu lesen. Kurz nachdem ich dann das Licht gelöscht und mich ganz gemütlich auf die Seite gedreht hatte, wackelte mein Bett plötzlich für zwei drei Sekunden. Ich bekam einen ziemlichen Schreck, konnte mir allerdings die Sache nicht erklären. So war denn auch meine erste naive Reaktion, dass ich unter dem Bett nachschaute, ob sich dort nicht etwa irgendein großes Vieh versteckt hätte. Doch noch im gleichen Augenblick erkannte ich, dass ich in diesem Augenblick ein Erdbeben erlebt hatte. Ich stand also auf und sah auf die Straße, die jedoch ganz ruhig blieb - auch der Strom war nicht, wie zuvor bereits mehrfach, ausgefallen. Also ging ich wieder ganz ruhig zu Bett und schlief den Schlaf der Gerechten.
Damit hätte ich die Geschichte auch bald als Einbildung vergessen, wenn mich heute morgen in der Schule nicht ein Mädchen mit den Worten begrüßt hätte: "Herr Janke, haben Sie gestern das Erdbeben erlebt?"
Da erst wurde mir bewusst, was da eigentlich passiert war. Ich sprach noch mit einigen Jugendlichen und Kolleginnen, wobei mir eine Kollegin erzählte, sie wohne in der 9. Etage eines Hochhauses und bei ihr hätten die Lampen geschwankt. "Auch die Fenster wackelten ganz fürchterlich in ihren Rahmen." Selbstverständlich hatte sie Angst und einen großen Schreck bekommen. "Also habe ich mir die Kinder geschnappt und sie angezogen. Drausen auf der Straße liefen auch schon einige Menschen aufgeregt herum. Ich bin dann mit den Kindern zu Verwandten aufs Land gefahren."
Blick auf das Epizentrum in der unbewohnten Taiga
Die Bewohner von Kyzyl bereiten sich auf eine Nacht im Freien vor
Andere berichteten, wie bei Mitschülern die Lampen von der Decke gefallen und Vasen umgefallen seien. So steigerte sich im Laufe des Tages die Stimmung und heizte die Gerüchteküche an. Einige erzählten, das Erdbeben habe hier eine Stärke von 4,5 auf der Richterskala gehabt. Wieder Andere ergänzten, im mongolischen Erdbebenzentrum sei ein Wert von 9,5 (!) gemessen worden. Zwei Schülerinnen wollten ihre "Angst" plötzlich als Begründung zum Unterrichtsausfall nutzen. Nun, mir erschien das Beben bei uns höchstens eine Stärke von 3,0 gehabt zu haben, aber andererseits habe ich auch gar keine Ahnung. Also habe ich soeben gleich im Internet alle Informationen dazu mir angesehen und Folgendes herausgefunden:
27.12.2011 – Ein sehr starkes Erdbeben (M 6.5 auf M 7.0 nach verschiedenen Quellen) passiert im südwestlichen Teil von Sibirien. Das Epizentrum lag in der dünn besiedelten Wildnis in einer Entfernung von etwa 120 km von Kyzyl, einer Stadt mit 109,000 Einwohner und die Hauptstadt der Republik Tuva.
Ja, ich habe hier das erste deutlich spürbare Erdbeben meines Lebens erlebt, und ich hoffe auch, dass es das letzte war, denn trotz aller Ruhe, die mich die ganze Nacht gut schlafen ließ, ist mir jetzt doch schon etwas mulmig zumute.

Montag, 26. Dezember 2011

П. И. Чайковский: Щелкунчик

Der Nussknacker und Klärchen
Bescherung in der großen Halle
Jeder kennt sie, die Geschichte vom Kampf des tapferen Nussknackers gegen den bösen Mäusekönig und seine Armee spätestens seit Pjotr Iljitsch Tschaikowski 1892 Alexandre Dumas' Version dieser Geschichte mit seiner Vertonung zu einem zweiaktigen Ballett in alle Welt hinausgetragen hat. Wer aber kennt Klärchen oder gar den Patenonkel Drosselmeyer? Dieser ist es nämlich, der seinem Patenkind zu Weihnachten einen Nussknacker schenkt, den das kleine Mädchen sofort ins Herz schließt. Abends, nachdem alle Gäste das Haus verlassen haben und Klärchen im Bett liegt, beginnt in ihren Träumen die eigentliche Geschichte des berühmten Balletts. Das Kind träumt, vom bösartigen Mäusekönig und seinen kleineren Gefolgsmäusen bedrängt zu werden, als zu ihrer Rettung der Held des Abends erscheint. Der Nussknacker hat eine Truppe braver Soldaten im Schlepptau, denen es gelingt, die Mäusearmee zurückzudrängen, so dass es zum großen Kampf zwischen Nussknacker und Mäusekönig kommen kann, bei dem selbstredend das Gute siegt.
Es kann auch gar nicht anders sein, als dass der Nussknacker die Oberhand behält, denn Tschaikowski schrieb sein Ballett für Kinder, denen damit die Schönheit der klassischen Musik und die Kunstfertigkeit des Balletttanzes näher gebracht werden sollte. Genau dies ist ihm, wie die letzten etwa 120 Jahre zeigen, sehr gut gelungen. Aber wie soll man dieses klassische Stück einem Kinde des 21. Jahrhunderts, aufgewachsen mit Techno, Rap oder Rock, näherbringen? Wie soll ein kleines Kind besonders den in der Handlung weniger spannenden, musikalisch aber noch viel spektakuläreren zweiten Akt mit Interesse verfolgen? Seit dem gestrigen Tage habe ich eine Antwort, die Antwort des Krasnojarsker Balletttheaters, parat: Man gebe auch kleinen Kindern keine modernisierte Fassung, sondern die ganz klassische Version von Kindern für Kinder interpretiert! (Für mich eine Offenbarung.)
Tanz der Schneeflöckchen
Der Prinz und seine Braut
Pünktlich um 12:00 Uhr saßen hunderte großäugiger Kinder mit ihren Eltern und Freunden im großen Theatersaal und klatschten vor lauter Aufregung immer wieder vorab, so dass deren Spannung spürbar wurde. Dann verlosch das Licht und der Vorhang öffnete sich. Vor der noch verdunkelten Hauptbühne spazierten elegante Damen und Herren mit ihren fröhlich herumtänzelnden Kindern entlang und begaben sich ins Haus der kleinen Klara. Nun öffnete sich der Blick in die geräumige Halle des Hauses, in der viele Kinder mit Spannung die abendliche Bescherung erwarteten, die dann auch von einem Zauberer (Onkel Drosselmeyer) vorgenommen wurde. Jedes Kind bekam ein tolles Geschenk und alle Kleinen äußerten ihre Freude in herrlichen Tänzen, während die Großen eher als Staffage nur eine kleine Nebenrolle spielten. Als dann alle nach Hause gingen und Klärchen sich zum Schlaf zurückzog, tauchten in dem abgedunkelten Zimmer aufdringliche Mäuse auf und bedrängten zusammen mit ihrem Mäusekönig das verschreckte Mädchen. Doch Rettung kam bald in Form des kleinen Nussknackers und der Mäusekönig samt seiner irrwitzigen Bagage wurde besiegt. Alle wichtigen Rollen wurden dabei ausschließlich von kleinen Kindern gespielt, die ihrem Tanz eine Ausdruckskraft verliehen, welche mir zuweilen den Atem stocken ließen. Dabei gab es meinem unwissenden Urteil zufolge nicht einen einzigen, wohl doch völlig verzeihlichen, Fehltritt auch nur eines einzigen Kindes. Vielmehr überzeugten die kleinen Künstler mit einer fantastisch ausdrucksstarken Leistung.
Ein Bühnenbild, fast so schön wie bei uns in Krasnojarsk
Tänzerisch und musikalisch noch erhebender war der von Kindern und Jugendlichen dargestellte zweite Akt, in dem der Prinz (vormals der Nussknacker) seine Braut (eben jenes kleine Klärchen) in formvollendeter Kunstfertigkeit durch den sanften Reigen der Schneeflöckchen und kleinen Soldaten der vielen Jungen und Mädchen führte. Die hier gezeigte tänzerische Leistung der beiden Hauptdarsteller nötigte vielen kleinen Zuschauern ebenso wie mir einen immer wieder aufbrausenden Beifallssturm ab. So war es auch nicht verwunderlich, dass nach dem Stück noch mehrere Minuten lang in stehenden Ovationen Beifall geklatscht und den Tänzern und Tänzerinnen viele Blumensträuße auf die Bühne getragen wurden.
Mit leicht schmerzenden Händen aber getragen von der Leichtigkeit der gerade genossenen Aufführung verließen wir dann das Theater und stellten uns an der Garderobe an. Und was sahen hier meine fast herausquellenden Augen? Einige der Kinder, Jungen und Mädchen, gewandet in "Räuberzivil" mit den dicken Schneestiefeln, versuchten sich allerorten im Balletttanz mit Pirouetten und weiten Sprüngen.
Das ist der Zauber des Balletts!
Alle hier gezeigten Bilder entstammen nicht dem Kranojarsker, sondern dem St. Petersburger Ballett, da hier das Fotografieren verboten ist.

Samstag, 24. Dezember 2011

Рождество в Россий

24.12.2011: Heute ist Heilig Abend. Millionen Kinder und auch viele Erwachsene fiebern der abendlichen Bescherung unter dem festlich geschmückten Weihnachtsbaum entgegen. Wenn es abends langsam dunkler wird, zünden Mama und Papa die Kerzen, die überall im Raum verteilt sind, an und auch die Lichterkette am Weihnachtsbaum erstrahlt in einem scheinbar besonderen Glanz. Wenn die Deutschen einmal Glück haben, liegt draußen vielleicht ein wenig feuchter Schnee und färbt die sonst grau-grüne Welt einmal weiß, wobei alle Geräusche von dem weichen, weißen Flaum gedämpft werden. Und dann ist es soweit! An der Tür wummert, für die lieben Kleinen gut hörbar, der etwas grimmig dreinschauende, bärtige Weihnachtsmann an die Tür und die Kinderlein halten für einen Augenblick den Atem an. Und dann ...
Meine netten Kolleginnen beim Kaffeeklatsch
Für mich bleibt diese Geschichte, wie immer sie weiter gehen mag, eine schöne Erinnerung, denn hier in Russland ist dieser Tag nichts Besonderes - ein Arbeitstag, wie jeder andere. Allerdings haben sich heute die Kolleginnen des Fachbereichs Deutsch zu einem kleinen Kaffeekränzchen zusammengesetzt, um so die Weihnachtszeit einzuleiten. Wir saßen also zusammen bei Kaffee und Kuchen und konnten ein wenig miteinander reden. Ich hatte sogar noch die Ehre, beschenkt zu werden, was mich sehr berührte. Die Geschenke sind hier in Sibirien kaum mit Gold aufzuwiegen: selbstgestrickte Wollhandschuhe und Wollsocken, die auch bei -40°C noch warm halten.
Liebe Deutschkolleginnen, herzlichen Dank für die tollen Geschenke!
Das ist "Снегурочка"
25.12.2011: Zuallererst einmal das Wichtigste: Mein lieber Herr Papa hat heute Geburtstag: "Herzlichen Glückwunsch"! Jetzt das Zweitwichtigste: Dank der großen Freundlichkeit der Russen hier in Krasnojarsk sind alle meine Sorgen der letzten Tage regelrecht verflogen - ich fühle mich wieder wie ein denkender Mensch! Und nun das Interessanteste: Ich durfte zusammen mit Nadja, Tanja und Boris Tschaikowskis märchenhaftes Ballett "Der Nussknacker" genießen und bin jetzt so voll vom Gefühl des Schwebens, dass ich vorerst nichts Inhaltliches zu dieser fantastischen Aufführung zu "Papier" bringen kann. Deshalb muss ich den interessierten Leser auf etwas später vertrösten. An dieser Stelle seien es nur ein paar grundlegende Gedanken zu dem Erlebnis.
Viele kleine Kinderchen waren verkleidet
Nadja, Tanja und Boris in festlicher Stimmung
Angefangen hatte alles für mich schon etwas zeitiger, weil ich unbedingt in der Stadt noch einen Blumenstrauß für Nadja besorgen wollte - als kleines, wohl etwas "kümmerliches" Dankeschön. So stand ich denn auch einige Zeit vor dem Theater in der Kälte und wartete gemeinsam mit Boris auf die beiden Damen. Im Theater dann verzog sich natürlich sehr schnell der Frost in den Knochen, denn die Heizungen funktionieren in Sibirien sehr gut. Aber nicht das war es, das mich erwärmte, sondern die hunderte von kleinen Kindern im Foyer, die ganz gespannt auf das Ballett warteten. Um die Zeit für die Kleinen (im Alter von 4 - 12 Jahren!) zu verkürzen, führte man im Foyer ein spaßiges Stück auf, bei dem "Дед Мороз" und "Снегурочка" mit den Kindern sangen und tanzten.
Den Kindlein machte der Tanz richtig viel Spaß
Tschaikowski wollte mit dem "Nussknacker" ein Ballett für kleine Kinder schaffen, und dies ist ihm hier in Russland auch gelungen, denn all die Kleinen waren gekommen, um ein zweistündiges Ballett zu sehen. Das ist aber für mich nicht die eigentliche Sensation; dieses Ballett war vom hiesigen Theater für Kinder von Kindern gemacht! Ja, ganz recht, auf der Bühne standen kleine Kinderchen und einige jugendliche Tänzer, die Leistungen hervorbrachten, welche mich zuweilen das Atmen vergessen ließen. Ich dachte zwischenzeitlich an die sehr traurige Darbietung eines groß angekündigten französischen Ensembles in Magdeburg zu eben diesem "Nussknacker" - und musste fast weinen! Ich war mehr als beeindruckt von den Leistungen der kleinen Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne hier und konnte auch die herrliche Musik wirklich genießen, denn diese kam nicht, wie damals in Magdeburg, aus der Konserve (sic!) sondern wurde von lebenden Menschen gespielt.
So könnte ich jetzt in meiner Faszination endlos weiter schreiben, aber - wie bereits angekündigt - es wird zu dieser Seelenspeise in den folgenden Tagen einen genaueren Bericht geben.

Freitag, 16. Dezember 2011

Кто Николай Петрович Резанов?

Ja, wer ist, oder besser: war, eigentlich Nikolai Petrowitsch Resanow?
Um das herauszufinden, ruft der moderne Mensch einfach Wikipedia auf und liest dort unter N.P. Resanow (1764-1807) über den berühmten Mitbegründer der Russisch-Amerikanischen-Kompagnie (RAK): Der in Petersburg geborene Resanow entstammte einer angesehenen Adelsfamilie und machte als Offizier und Beamter im zaristischen Apparat eine steile Karriere, die ihn sogar in unmittelbare Nähe zur Zarin Katharina die Große brachte. Als er dann vom Hof nach Irkutsk gesandt wurde, um die Kontrolle über die unendlichen Weiten Sibiriens zu straffen, lernte er dort die erst 14-jährige Anna Grigorjewna Schelichowa kennen und heiratete sie. Aber bereits nach der Geburt des zweiten Kindes starb die junge Frau, so dass Resanow nach einiger angemessener Trauerzeit, im Auftrage des Mütterchen Russlands, erneut sich dem Staatsdienst zuwandte. Im Auftrag des Zaren aber im Interesse der 1799 begründeten RAK reiste er in den folgenden Jahren gemeinsam mit dem berühmten Forscher und Seefahrer Krusenstern nach Japan, dem russischen Alaska und Kalifornien, wo er sich in die wiederum nur 15-jährige Conchita de la Concepcion Marcela Arguello verliebte und damit einige politische Verwirrungen auslöste. Als Resanow 1807 nach Sankt Petersburg zurückkehren wollte, starb er unterwegs in Krasnojarsk und wurde hier auch begraben.
Wenn man sich all diese trockenen Fakten erschlossen hat, sollte man sich auch ins Theater wagen:
Die Springbrunnen vor dem Opern- und Balletttheater leuchten in kalten Winternächten ganz farbenprächtig
Алексей Рыбников: Юнона и Авось (1980)
Schülerinnen der 9b mit Natalia im Theaterfoyer
Vor dem Theater entsteht Kunst aus Eis (Leichtigkeit bei -20°C)
Schüler der 9. und 10. Klassen unseres Gymnasiums besuchten gestern abend eine Aufführung der recht modernen "Rockoper" Juno und Avos des sowjetischen Komponisten Alexej Rybnikow, die dieser 1980 zu der Affäre Resanows mit der kleinen Conchita komponierte. Die dieses Mal relativ sparsam dekorierte Bühne stellte ein in sehr düstere Farben gehülltes Schiff dar, vor und auf dem die gesamte Handlung sich abspielte. Im ersten Akt wird Resanow von Mütterchen Russland in Gestalt der Heiligen Mutter von Kasan aufgefordert, sich wieder stärker seiner geliebten Heimat zuzuwenden und etwas für das Land zu tun. Also macht sich der junge Adlige im zweiten Akt auf die gefährliche Reise, wobei ihm ein Großteil seiner Schiffsmannschaft an Skorbut wegstirbt. In Kalifornien dann angelangt, entbrennt nach einigem diplomatischen Hin und Her zwischen den Russen und den Spaniern die Liebe Resanows zu der kleinen Conchita. Auch der vierte Akt ist der wenig glücklichen Liebe zwischen den beiden gewidmet, die auch nicht zerbricht, als der adlige Russe von Mütterchen Russland zurück nach Hause berufen wird. Der fünfte und letzte Akt stellt dann die Reise durch Sibirien, seinen Tod in Krasnojarsk und die Ewigkeit der Liebe auch über den Tod hinaus dar. 
Krasnojarsk ist im Dunkeln richtig spannend
Die Musik dieses Abend war derart vielschichtig, dass man sie kaum beschreiben kann. Rybnikow schuf eigentlich nicht eine "Rockoper", sondern ein experimentelles Ballett, in dem zwischen Rock- und EBM-Rythmen auch russisch-orthodoxe Gesänge und traditionelle Volkslieder erklingen. Dabei entstand besonders im ersten Akt durch die fast sakrale Darstellung der Heiligen, durch den Ausdruckstanz der Mönche, die Beleuchtung und die dunkle Musik eine derart düstere Stimmung, dass ich es einfach nicht glauben konnte, dass dieses Stück 1980 in der Sowjetära entstanden sein sollte. Auch der auf der Bühne gezeigte moderne Ausdruckstanz erinnerte mehr an die kürzlich verstorbene Pina Bausch als an einen streng auf Parteilinie fahrenden sowjetischen Komponisten. Dazu kommt die geradezu religiöse Darstellung der Liebenden und deren Überhöhung als Quasi-Heilige an der Seite der Heiligen Mutter von Kasan, die der völligen Ablehnung von Religion durch die kommunistische Ideologie widersprechen.
Das 1831 über dem Grab Resanows (?) errichtete Monument
Wie also konnte ein Komponist in der poststalinistischen Zeit der Ära Breshnjew ein derartiges Werk schaffen und durch die Zensur bringen? Genau diese Frage stellte ich dann hinterher Natalia Massalowa, die mir die selbstverständlichste Antwort der Welt gab: Der Grund für diesen Widerspruch ist in der Unendlichkeit der menschlichen Dummheit zu suchen! Die Zensoren der sowjetischen Behörden hatten das Stück gar nicht verstanden und also durchgewunken. Als sie später diese Widersprüche erkannten, war es für ein Verbot zu spät, denn mittlerweile hatte dieses moderne Ballett schon in der halben Welt für Furore gesorgt.
Und genau das kann ich auch gut verstehen, denn auch mich, der ich die Wort nicht verstand, hat der ausdrucksstarke Tanz und ganz besonders die ungewöhnliche und abwechslungsreiche Musik tief bewegt und zum Nachdenken angeregt.

Sonntag, 11. Dezember 2011

Король Енисей

...oder ein Gruselkabinett?
Darf ich vorstellen? - Seine Majestät König Jenissej, von Gottest Gnaden Herrscher über ganz Sibirien!
Nur seine Gemahlin, die weit entfernt im Osten herrschende Lena ist mit ihren rund 4.400 Kilometern ein wenig länger als der 4.100 Kilometer lange Jenissej, der durch seine beherschende Lage als Mittelpunkt zwischen West- und Ostsibirien an Bedeutung gewinnt. Bis heute ärgern sich die Nowosibirsker (immerhin Sibiriens Hauptstadt) darüber, dass ihr Ob mit gerademal 3.600 Kilometern nur der kleine Bruder bleibt und rechnen deshalb oft den Ob und den Irtysch zusammen.
Ist das eine Märchenlandschaft...
Ein Bild der Gegensätze: die menschgemachte Kommunalnaja im Licht über den höllisch dampfenden Fluten des Jenissej
Der die nördliche Mongolei und das Polarmeer verbindende Fluss durchschlängelt vorbei an Abakan südlich von Krasnojarsk das Sajan-Gebirge, dessen Ausläufer uns das herrliche Naturwunder von "Stolby" gebracht haben, und geht dann auf seine lange Reise durch die endlosen Wälder der sibirischen Taiga, wo er auch die Stadt Jenissejsk trifft. Danach geht es weitere endlose Kilometer durch die kalte Tundra, bevor der Fluss auf Höhe von Norilsk in ein riesiges Delta mäandert und sich dann träge in die eisigen Fluten des nördlichen Polarmeers ergießt. Obwohl der Fluss fast unendliche Weiten in zum Teil erbärmlich kalten Regionen zurückzulegen hat, friert er nie völlig zu und kann damit im Winter nicht, wie im Osten die Lena, zu einer riesigen Autobahn umfunktioniert werden.
Die Erklärung dafür kann man hier in Krasnojarsk sehr gut sehen: Obwohl noch im ersten Drittel seiner Gesamtlänge, hat der Jenissej bereits eine beeindruckende Breite erlangt und schwillt weiter im Norden zu einem beeindruckenden "Meer" an, von dessen einem Ufer man kaum bei gutem Wetter das gegenüberliegende Ufer sehen kann. Diesen Umstand hat der König mit seiner Königin gemein - auch die Lena erstreckt sich in einigen Gebieten zu erfurchtgebietender Breite, ist aber der noch brutaleren Kälte Jakutiens ausgesetzt. Was aber den Jenissej auszeichnet, ist seine enorme Fließgeschwindigkeit. Als Ruderer habe ich im letzten Sommer in Deutschland noch davon geträumt, hier in einem schönen Doppel-Vierer über den Jenissej zu juckeln, aber schon der erste Blick auf die dahinströhmenden Fluten hat mich eines Besseren belehrt. Bei einer gut vorgenommenen Wende auf dem Jenissej treibt man wohl schon einen Kilometer weiter - an ein Anlegen gegen die Strömung ist dabei kaum zu denken. Der Jenissej ist also ständig in Bewegung und schon dadurch ein relativ warmer Fluss, dem die einheimische Industrie noch weitere Energie zuführt, so dass er an einigen Stellen regelrecht zu kochen scheint.
Menschen leben hier scheinbar im Einklang mit der Natur
Dieses Naturwunder zu bestaunen habe ich mich heute mittag bei strahlendem Sonnenschein und erfrischenden -8°C aufgemacht an das Ostufer. Es gibt da rund um die Kommunalnaja Brücke eine sehr schöne Stelle, an der aus dem warmen Wasser die Feuchtigkeit in dicken Nebelschwaden aufsteigt. Tanja hatte mir mal gesagt, ich solle warten, bis es richtig kalt würde ("richtig kalt" meint hier mindestens -30°C), da dann der Nebel so dick wäre, dass man keine fünf Meter weit sehen könne. Aber wenn ich nichts sehe, bringt das ja auch nichts - also waren nach drei sehr warmen Tagen (die "Eingeborenen" stöhnten schon unter der Hitze von etwa 0°C) heute die besten Voraussetzungen für ein paar seltene Fotos. Und tatsächlich: die von der grellen Wintersonne beschienenen Fluten verströmten das Flair einer orientalischen Dampfsauna. Überall stiegen aus dem dunklen Abgrund weiße Wolken erkaltender Feuchtigkeit auf und strömten den auf der Promenade laufenden Spaziergängern zu, als wollten sie diese verschlucken. Die auf dem Wasser schaukelnden Enten verschwanden hin und wieder in den undurchdringlich wabernden Schwaden, und auch die sie fütternden Kinder verschwammen mehrfach vor meinen Augen.  So stand ich längere Zeit in der seichten Brise und durfte ein Schauspiel bewundern, wie es von Menschen nie ersonnen geschweige den umgesetzt werden kann.
Das sollen uns die Nowosibirsker auf ihrem Bächlein, dem Ob, erst einmal nachmachen!

Dienstag, 6. Dezember 2011

Сибирская пoгода

Es ist Winter hier in Krasnojarsk - auch wenn es den "Eingeborenen" noch etwas zu warm erscheint. Die derzeitigen etwa -10°C sind allerdings wirklich nicht unerträglich kalt, denn die hiesige Trockenheit und der fast permanente Sonnenschein machen diesen Winter zu einem Erlebnis für mich. Seit einigen Tagen hült zudem noch abendlicher Nebel die Stadt ein, so dass am folgenden Morgen alle Bäume in die gefrorene Nässe des Reifes eingehüllt sind. Ich fühle mich wie an den Hof der Schneekönigin versetzt, in dem alle Höflinge in weiße Kleider gehüllt sind. 
Jeden Tag glitzern die Strahlen einer kalten, aber auch hellen Sonne auf unzähligen Eiskristallen und hüllen Sibirien in eine Pracht, die sich niemand vorstellen kann, der so etwas nie gesehen hat. Dazu kommen die scheinbar kochenden Wasser seiner Majestät des Jenissej. Je kälter die den Fluss umgebende Luft ist, desto dichter werden die aus dem verhältnismäßig warmen Wasser emporsteigenden Nebelschwaden. Hier wäre selbst Goethes "Erlkönig" verloren und könnte des Vaters Sohn nicht mehr finden.
Aber es gibt auch Reize für die Ohren. Kennt in Deutschland überhaupt noch jemand das Geräusch von Stiefeln auf trockenem Schnee - dieses endlose Knirschen? Jeden Morgen auf dem Weg zur Schule, wenn der Motorenlärm der Autos noch nicht zum alles beherrschenden Geräusch der Stadt wird, gibt es ein Fest für meine Ohren. 
Ich entdecke jetzt den Winter neu und weiß ihn nun auch eher zu schätzen als in der feuchten Kälte Mitteleuropas.

Тихо: Идут Экзамены!

Die zehn Kandidatinnen und Kandidaten in freudiger Erwartung dessen, was da kommen mag
höchste Konzentration beim Leseverstehen
Heute war ein besonderer Tag - nicht für mich, sondern für die Schülerchen der 11. Klasse!
Zehn Kandidatinnen und Kandidaten hatten sich in diesem Jahr zur DSD-II-Prüfung angemeldet und mussten heute die erste Etappe mit der schriftlichen Prüfung bestehen. Also erschienen sie, mal mehr mal weniger aufgeregt, um 08.30 Uhr in der Schule und wurden zuerst von einer Vertreterin der Schulleitung begrüßt und beglückwünscht. (In Russland wird grundsätzlich bei eine Ansprache allen Personen gratuliert.) Nach einer kurzen Belehrung ging es dann um 08.50 Uhr los, und während sich alle im Raum auf die Aufgaben konzentrierten, konnte ich bei der Aufsicht die formalen Angelegenheiten erledigen und ein wenig in meinem Buch lesen.
Diese Grazie scheint doch recht locker
Die DSD-II-Prüfung ist eine von der KMK aufgelegte, standardisierte Prüfung für alle Deutschlerner rund um den gesamten Globus! Am heutigen 06. Dezember schrieben auf der gesamten Nordhalbkugel der Erde alle DSD-II-Prüflinge die exakt gleiche Prüfung. Der Prüfungssatz besteht aus drei Teilen, die wiederum zum Teil untergliedert sind.
Im ersten Teil wird das Leseverstehen (LV) der Schüler überprüft. Sie bekommen dazu eine Reihe kurzer und längerer Texte, zu welchen sie Arbeitsaufträge haben. Zuerst müssen sie kleineren Texten entsprechende Überschriften zuordnen, was man sich aber bitte nicht so einfach vorstelle. Wir, die Auslandslehrkräfte in Sibirien, haben beim Seminar in Nowosibirsk lange diskutiert und sind dann doch nicht zu eindeutigen Ergebnissen gekommen. Hier wird von den Jugendlichen nicht nur Sprachkenntnis, sondern im Besonderen auch Logik abverlangt. Genauso logisch muss man dann beim zweiten Text denken. Dabei geht es darum zu erkennen, ob bestimmte Aussagen zu dem Text richtig oder falsch oder gar nicht im Text sind. Die Lösung dieser Aufgabe hängt hier sprichwörtlich am seidenen Faden, so dass wir uns damals in Nowosibirsk auch hier nicht vollkommen einig waren. Dem dritten Text folgt dann ein Multiple-Choice-Test, in dem die Differernzen zwischen a), b) und c) wieder sehr gering und zum Teil gar irreführend sind.
Geballte Männerpower beim Hörverstehen
Der zweite Teil der Prüfung beschäftigt sich dann mit dem Hörverstehen (HV), wobei die Kinder anfangs ein Interview hören und dazu Multiple-Choice-Fragen beantworten müssen. Man bedenke hier, um die Leistungen angemessen beurteilen zu können, dass die Texte von unbekannten Muttersprachlern aufgenommen werden - allerdings sprechen diese Muttersprachler dabei außerordentlich langsam, so dass es einem Deutschen schon etwas befremdlich erscheint. Einem jungen fremdsprachigen Menschen jedoch fordert diese Prüfung nicht nur ein gutes Sprachverständnis sondern auch erhöhte Konzentration ab. Nach diesem ersten Interview folgen dann vier kurze Einspielungen verschiedener Sprecher zu gesellschaftlichen Themen, die die Schüler zuordnen müssen. Im abschließenden Fachtext, den wieder eine neue Sprecherin zu Gehör bringt, müssen die Schüler erneut Multiple-Choice-Fragen beantworten, wobei die korrekten Lösungen so wie in den Fragen nie im Text auftauchen. Die Schüler müssen also kontextual verstehen, was mit den einzelnen Äußerungen gemeint ist.
Die Augen haben sich in den Fachtext (SK) verkrallt
Nach all diesen Aufgaben folgt zum Schluss im Bereich Schriftliche Kommunikation (SK) noch das Schreiben eines Essays zu einem Fachtext mit dazugehörender Statistik. Die Schüler sollen in einem zusammenhängenden Essay das Thema vorstellen, den Text zusammenfassen und die Grafik auswerten. Daraus wird dann in demselben Essay eine kritische Pro-Contra-Diskussion hergeleitet und letztendlich mit einer wohlbegründeten Meinungsäußerung abgeschlossen.
Insgesamt verlangt diese Prüfung den Schülern wirklich sehr hohe Leistungen ab, so dass ich vor jedem Jugendlichen, der das mit gutem Ergebnis (Prädikat C1) schafft, meinen Hut ziehe. Auch die, die "nur" mit der Stufe B2 bestehen, haben hier eine wahrlich große Leistung vollbracht. Unsere zehn Prüflinge sind in all den Jahren, die sie hier am Gymnasium Nr. 6 gelernt haben, sehr gut vorbereitet worden, so dass ich mir doch sicher bin, dass sie alle das DSD-II geschafft haben. Also möchte ich Ihnen zu dieser tollen Leistung gratulieren!

Samstag, 3. Dezember 2011

Дорогие помощники - большое спасибо!

Man liest immer wieder in irgendwelchen billigen Romanen: "Ihm ist ein Stein vom Herzen gefallen!" Das ist aber Blödsinn, denn ein Stein auf dem Herzen wirkt doch ziemlich befremdlich. Ich ziehe es vor, zu sagen "Ich kann endlich wieder frei atmen!", denn genau das beschreibt viel treffender den Zustand der Erleichterung.
Meine Eltern, so wie ich sie zuletzt in Berlin gesehen habe
Seit mir in der letzten Woche alle meine Papiere, Karten und viel Geld abhanden gekommen sind, lastete derart starker Druck auf mir, dass ich nur mit halber Kraft atmen konnte. Das ist mir aber erst heute mittag gegen 13:00 Uhr bewusst geworden. Ich hatte in den letzten Tagen mit jeder Kopeke knausern müssen, weil meine Finanzen (zumindest die, auf welche ich Zugrif habe) völlig erschöpft waren. Mein hiesiges Konto war mit glorreichen 55 Cent ausgestattet. Und auch unter dem Kopfkissen hatte ich nur sehr wenig Geld, so dass alle Ausgaben auf das Nötigste beschränkt wurden. Die einzige Ausnahme bildete die zu diesem Zeitpunkt schier unermessliche Verschwendung von 600,- Rubel (ca. 15,- Euro) für die CD des Kuban-Kosaken-Chores am Donnerstag.
In einer beispiellosen Welle der Hilfsbereitschaft wurde mir in der letzten Woche von allen Seiten finanzielle Hilfe angeboten, sowohl aus Deutschland als auch hier vor Ort. Und so musste ich, übrigens das erste Mal in meinem Leben, meine lieben Eltern um einen größeren Betrag zur Hilfe bitten, den sie dann auch anwiesen. Doch eine derartige Überweisung nach Russland dauert seine Zeit, und was kann dabei nicht alles schiefgehen - ein Zahlendreher zum Beispiel? Dementsprechend stieg also erst einmal meine Anspannung.
In dieser Verfassung bin ich heute also zum Automaten gegangen, um nachzusehen, ob das Geld auch angekommen ist. Ich schob die Karte in den Automaten, drückte auf ein paar Knöpfe, deren Aufschriften ich nicht verstehe, deren Zweck ich mir aber eingeprägt habe, und sah dann meinen neuen Kontostand. Welch Freude, als ich feststellte, dass ich wieder einmal einkaufen kann. Also kaufte ich mir zuerst einmal ein neues Portemonaie, um mich wieder als vollwertiger Mensch zu fühlen und dann einige frische Lebensmittel.
Nun kann ich wieder frei die kühle sibirische Luft atmen - frei wie ein Kosak!
Dafür gilt mein ganz besonderer Dank natürlich meinen beiden Eltern, die sich das Geld abknapsen müssen, damit der Esel in Russland nicht vor die Hunde geht. Aber auch Irina muss ich hier im Besonderen danken, denn ohne ihre Hilfe hätte ich ja noch nicht einmal ein Konto und eine neue Bankkarte. Und last but not least danke ich Natalia, die immer einen kühlen Kopf bewahrt hat und alles mit der Polizei regelte, welche mittlerweile auch meinen Ausweis und meine Fahrerlaubnis wiedergefunden hat.
Спасибо - Danke - Thank You - Merci - Gracias!!!

Freitag, 2. Dezember 2011

200 лет: Кубанский Казачий Хор

Wie soll man ein Ereignis beschreiben, das eigentlich gar nicht in Worte zu fassen ist? Da war gestern abend der Kuban-Kosaken-Chor auf seiner Jubiläumstour auch in Krasnojarsk und ich durfte es live miterleben! Die einzige Möglichkeit, dieses Ereignis außerhalb der eigenen Erinnerungen zu dokumentieren, wäre ein Eintrag im Kalender:
01. Dezember 2011, 19:00 Uhr - Der Kuban-Kosaken-Chor besucht auf seiner Jubiläumstour zum 200-jährigen Bestehen Krasnojarsk; und ich war dabei!

Meine Begleiterinnen: Galina und Viktoria
 Wird eine derart trockene Notiz diesem Erlebnis für Augen und Ohren grecht? Nein! Man muss das einfach erleben! Nun, ich will trotzdem versuchen die Stimmung in Worte zu fassen.
Gestern Abend fuhr ich also mit zwei Kolleginnen, Galina und Viktoria, im wie immer schrecklich überfüllten Bus in den Großen Konzertsaal zu dem einzigen Konzert des Kuban-Kosaken-Chors in Krasnojarsk. Auf dieses Ereignis hatte ich mich schon seit Wochen gefreut. Und auch wenn ich jetzt, aufgrund meiner Finanzsorgen, nicht ganz in der besten Stimmung bin, erlaubten mir diese zwei Stunden eine Auszeit vom irdischen Jammerdasein und entführten mich in den musikalischen Himmel. So kaufte ich mir denn auch, trotz des Loches in meinem Geldbeutel für 600,- Rubel eine Doppel-CD des Chors, die ich gerade in diesem Moment höre - doch den Augenblick zurückrufen kann ich damit nicht.
Den Namen des Malers habe ich leider vergessen
Zuerst hatten wir ein wenig Zeit im Foyer und konnten die herrlichen Bilder eines finnischen Malers, den eine besondere Liebe mit Sibirien verbindet, betrachten. Seine Bilder sind, von Ferne betrachtet, wahre "Fotografien" der fantastischen Landschaften des Krasnojarski Kraj. Erst wenn man näher herankommt, erkennt man die Natur dieser Bilder als Gemälde, und von ganz Nahem verlieren sie geradezu den Charme der Natur. Ich war also schon im Voraus fasziniert von der ganzen Stimmung. Und dann kamen wir in den wahrhaft großen Konzertsaal dieses Baus aus den siebziger Jahren.
мужики и девушки
Was habe ich gesagt? Derwische beim Tanz!
An der Hinterseite der großen, ansonsten leeren Bühne prangten drei große Banner mit dem Logo des Kuban-Kosaken-Chors sowie Glückwünschen zum 200. Geburtstag. Das Ganze war in beruhigendes, nein eigentlich eher trauriges, dunkelblaues Licht gehüllt. Als dann das Licht im Saal ausging, veränderte sich die Beleuchtung der Bühne in ein fast noch dunkler wirkendes weinrot, später in ein helleres Rot, um dann zu einem hoffnungsvollen Grün zu wechseln und so weiter. So war schon durch die Beleuchtung während das ganzen Konzertes eine wechselnde Stimmung gegeben. Korrespondierend zu diesem Licht erklangen dann wilde Kosakenrythmen, zackige Märsche, lustige Volkslieder und die nur in Russland zu erlebende Melancholie der traurigen Lieder.
Der Kuban-Kosaken-Chor besteht allerdings nicht nur aus den fantastischen Sängern, sondern incorporiert auch eine starke Tanzgruppe. Diese Tänzer vollführten, immer wieder abwechselnd mit dem Chor, einen wahren Derwischzauber kosakischen Tanzes auf der Bühne, der einem jedem (zumindest jedem nicht-russischen) Balletttänzer die Schamesröte in das Gesicht treiben könnte. Die Männer sprangen und rannten und drehten sich mit gezückten Säbeln in einem immer schnelleren Reigen. Dazwischen hüpften scheinbar zerbrechliche Grazien mit unglaublich schnellen Drehungen, dass ihre ausladenden Röcke in die Luft flogen. Zur Untermalung des kriegerischen Charakters dieser freien Bauern der Ukraine und Russlands fochten die Männer in wildesten Kämpfen einen künstlerischen Schwertkampf, bei dem wahrhaft die Funken der aufeinander einschlagenden Säbel sprühten. Fast wie nebenbei trat bei einem Tanz ein Schmied mit freiem Oberkörper auf und hämmerte im Rhythmus der wilden Musik auf einen Amboss ein, während um ihn herum die Kosaken mit ihren Mädchen flirteten, sie im schnellen Reigen in die Luft hoben und auf der Tanzfläche drehten. Die Augen wollten sich mir fast aus ihren Höhlen verabschieden angesichts dieses Spektakels und ich verstand jetzt, zumindest ansatzweise, was man in Russland meint, wenn man von einem "мужик" spricht.
Natürlich feiert man hier auch die russische Größe (s. Flagge)
 Mit "Muschik", einem Wort, das üblicherweise mit "Bauer" übersetzt wird, meinen die Russen heute eine Art Macho! Das hat aber nichts mit der bei uns üblichen Vorstellung vom pöbelnden italienischen Kerl zu tun. Der "Muschik" ist ein ganzer Mann im wahrsten Sinne des Wortes, der den Frauen gegenüber zuvorkommend doch immer wieder deutlich macht, dass er sein Mädel beschützen kann und jeden Gegner oder Nebenbuhler zu bekämpfen imstande ist. Vielleicht wäre "Recke" eine ganz passende Übersetzung.
Solo eines Goldkelchens
Für mich waren jedoch nicht die Tänzer die Helden des Abends, sondern der aus knapp dreißig Männern und Frauen bestehende Chor. Die Männer - auch diese mit dem typischen Auftreten eines "Muschik" - dröhnten mit ihren Bässen, dass es auch im hintersten Winkel des großen Saals eine wahre Pracht wahr. Einer dieser stimmegewordenen Kosaken beeindruckte mich im Besonderen, da er sowohl inmitten des Chors auffiel als auch als Solosänger eine durchdringende Glanzleistung vollbrachte (ich kann das einfach nicht besser ausdrücken). Seinen beeindruckenden Gesang würzte dieser kosakische Draufgänger mit dem gezwirbelten Oberlippenbart und der etwas schief auf dem Kopf hängenden Mütze mit einem markerschütternden Pfeifen. Wie kann ein Mensch allein das Lungenvolumen eines Ozeantankers haben? Seine Pfiffe waren nicht etwa nur kurze Piepser sondern laute und vor allem lang anhaltende hohe Töne, die den vorgeblichen Wahn dieser wilden Krieger noch weiter anfeuerten.
Man achte auf die Inbrunst der Sänger
Aber natürlich war die Veranstaltung nicht, wie es bisher scheinen mag, eine gefährliche Angelegenheit. Wie um die zum Teil riesigen Kerle im Zaume zu halten, standen vor ihnen niedliche Mägdelein mit kunstvoll gestaltetem Haarschmuck und angetan mit der traditionellen Kleidung der Kosakenfrauen. Und aus deren Kehlen drang lerchengleicher Gesang, der einem schlicht den Atem nahm. Ich habe noch nie aus einem so zarten Gewächs eine derart gigantische (mir fällt kein besseres Wort ein) Stimme gehört - und hier standen gleich zwölf oder fünzehn Mädchen, die Homers Sirenen das Fürchten gelehrt hätten. Wenn sie ihre Kopfstimmen erhoben zu dem, was ich aus Mangel an Kenntnis immer Matroschkagesang nenne, dann zitterte das Parkett im Saal.Dieser stimmgewaltige Chor sang dann über etwa zwei Stunden freche und fröhliche, aber auch unendlich traurige Lieder. Wer einmal die Gelegenheit hatte, eines dieser melancholischen russischen Volkslieder zu hören, der wird vielleicht meine Ergriffenheit bei diesen Liedern verstehen. Darin steckt das ganze Leid, welches das russische Volk über Jahrhunderte des Zwanges unter den Zaren und später unter der Sowjetführung erfahren hatte, all die Knechtschaft und die Leibeigenschaft der russischen Bauern, die bis ins 20. Jahrundert unter der Knute der Bojaren litten. Genau das ist es, was die Kosaken verkörpern.

Ein sibirischer Kosak - nicht denkbar ohne Pferd
Ursprünglich als arme Bauern in der kargen russischen Steppe zur Zwangsarbeit auf den Feldern der in Moskau sich vergnügenden Herren verpflichtet, befreiten sich viele Bauern aus der Leibeigenschaft, indem sie schlicht von ihren Höfen flohen und auf dem Rücken ihrer Pferde die Freiheit der russischen Weite genossen. Sie gründeten als Wehrbauern ab dem 16. Jahrhundert eigene Siedlungen, in denen sie mit ihren Familien ein freies Leben führen konnten und unter ihrem Hetman oder Ataman quasi vom russischen Zarenreich abgekoppelt waren. Aus diesem Grunde waren sie denn auch dem Zaren immer ein Dorn im Auge. Er konnte aber auch nicht auf diese unbändigen Bauernkrieger verzichten, denn sie waren die beste Verteidigung gegen die aus dem Osten anrückenden Tartaren. So waren die patriotisch eingestellten Kosaken denn auch lange das kämpferische Rückgrat der zaristischen Armee, aber nicht Teil der regulären Truppen. Erst im späten 18. Jahrhundert wurden sie mit einigen Privilegien als Elitetruppe in die Armee Katharinas der Großen eingegliedert und bildeten so bis 1917 eine der schlagkräftigsten Spezialtruppen Europas. Danach wurden sie als Revolutionsgegner zumeist verfolgt, auch wenn es "rote" Kosaken unter Budjonnyj gegeben hatte. 

09. Mai 1945 in Moskau: Auch Kosaken kämpften gegen Hitler!
So, mit diesem langen Bericht habe ich versucht, ein kleines bisschen von meinen Eindrücken zu "Papier" zu bringen und bin dabei, so empfinde ich es, kläglich gescheitert. Was soll man da machen? Wer wiklich dieses Erlebnis nachempfinden will, sollte sich umhören, ob es im Umkreis von etwa 1.000 km (man lernt in Russland ein anderes Raumgefühl) eine Aufführung gibt und dann dort hinfahren.

Montag, 28. November 2011

Столбы III.

Stolby fest in der Hand von Väterchen Frost
Meine beiden "Eseltreiberinnen"
Was macht ein Esel, wenn er sich geschlagen und getreten fühlt? Natürlich! Er läuft in die Wildnis, um sich seine Wunden zu lecken. Und um sich dabei nicht zu verirren, nimmt er einen erfahrenen Eseltreiber mit, der ihm hilft.
Auch ich hatte, als ich mich gestern in die Wildnis unserer Natur begab, zwei richtig nette "Eseltreiberinnen" dabei. Da ich jetzt in der Stadt so ganz ohne Geld eher ein Fremdkörper bin, nahmen mich Nadja und Tanja auf eine herrliche Winterwanderung nach Stolby mit. Den ganzen Tag herrschte klirrende Kälte bei etwa -20°C, so dass eine Wanderung im Schnee sowieso die beste Idee für den Tag war.
Es ging also durch Schnee und Eis, über Stock und Stein, den Berg hinauf zu einer anderen Wandererhütte, die sich aber, ähnlich wie die mir bereits bekannte, an den Berg krallte um ja nicht abzurutschen. Dort gab es dann dieses köstliche russische Wandereressen, bei dem jeder etwas mitbringt, es auf den Tisch legt und so mit den anderen teilt. Zum Nachtisch hatten wir diesmal eine tolle Gesangseinlage: Russische Volkslieder, auf der Gitarre begleitet - für die meisten Menschen bleibt es ein Traum, ich hab's erlebt!
Auch Tee zu kochen, kann spannend sein
Der Höhepunkt war dann aber der "Abstieg", den wir dank des hier noch weißen Schnees auf kleinen Plastikbrettern erheblich beschleunigen konnten. In geradezu halsbrecherischem Tempo ging es also auf dem Gesäß die zum Teil sehr steile und Kurvenreiche Piste herunter. Und dann? Das war für mich das Größte - das habe ich seit mindestens zwanzig Jahren nicht mehr gemacht: Tanja und ich lieferten uns eine Schnee(ohne Ball)schlacht! Die armen Kinder, die so etwas noch nie erlebt haben, werden nie wirklich wissen, wie schön Winter sein kann.
Aber genug geschwatzt - lassen wir die Bilder sprechen (einfach mal anklicken!):