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...oder ein Gruselkabinett? |
Darf ich vorstellen? - Seine Majestät König Jenissej, von Gottest Gnaden Herrscher über ganz Sibirien!
Nur seine Gemahlin, die weit entfernt im Osten herrschende Lena ist mit ihren rund 4.400 Kilometern ein wenig länger als der 4.100 Kilometer lange Jenissej, der durch seine beherschende Lage als Mittelpunkt zwischen West- und Ostsibirien an Bedeutung gewinnt. Bis heute ärgern sich die Nowosibirsker (immerhin Sibiriens Hauptstadt) darüber, dass ihr Ob mit gerademal 3.600 Kilometern nur der kleine Bruder bleibt und rechnen deshalb oft den Ob und den Irtysch zusammen.
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Ist das eine Märchenlandschaft... |
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Ein Bild der Gegensätze: die menschgemachte Kommunalnaja im Licht über den höllisch dampfenden Fluten des Jenissej |
Der die nördliche Mongolei und das Polarmeer verbindende Fluss durchschlängelt vorbei an Abakan südlich von Krasnojarsk das Sajan-Gebirge, dessen Ausläufer uns das herrliche Naturwunder von "Stolby" gebracht haben, und geht dann auf seine lange Reise durch die endlosen Wälder der sibirischen Taiga, wo er auch die Stadt Jenissejsk trifft. Danach geht es weitere endlose Kilometer durch die kalte
Tundra, bevor der Fluss auf Höhe von Norilsk in ein riesiges Delta mäandert und sich dann träge in die eisigen Fluten des nördlichen Polarmeers ergießt. Obwohl der Fluss fast unendliche Weiten in zum Teil erbärmlich kalten Regionen zurückzulegen hat, friert er nie völlig zu und kann damit im Winter nicht, wie im Osten die Lena, zu einer riesigen Autobahn umfunktioniert werden.
Die Erklärung dafür kann man hier in Krasnojarsk sehr gut sehen: Obwohl noch im ersten Drittel seiner Gesamtlänge, hat der Jenissej bereits eine beeindruckende Breite erlangt und schwillt weiter im Norden zu einem beeindruckenden "Meer" an, von dessen einem Ufer man kaum bei gutem Wetter das gegenüberliegende Ufer sehen kann. Diesen Umstand hat der König mit seiner Königin gemein - auch die Lena erstreckt sich in einigen Gebieten zu erfurchtgebietender Breite, ist aber der noch brutaleren Kälte Jakutiens ausgesetzt. Was aber den Jenissej auszeichnet, ist seine enorme Fließgeschwindigkeit. Als Ruderer habe ich im letzten Sommer in Deutschland noch davon geträumt, hier in einem schönen Doppel-Vierer über den Jenissej zu juckeln, aber schon der erste Blick auf die dahinströhmenden Fluten hat mich eines Besseren belehrt. Bei einer gut vorgenommenen Wende auf dem Jenissej treibt man wohl schon einen Kilometer weiter - an ein Anlegen gegen die Strömung ist dabei kaum zu denken. Der Jenissej ist also ständig in Bewegung und schon dadurch ein relativ warmer Fluss, dem die einheimische Industrie noch weitere Energie zuführt, so dass er an einigen Stellen regelrecht zu kochen scheint.
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Menschen leben hier scheinbar im Einklang mit der Natur |
Dieses Naturwunder zu bestaunen habe ich mich heute mittag bei strahlendem Sonnenschein und erfrischenden -8°C aufgemacht an das Ostufer. Es gibt da rund um die Kommunalnaja Brücke eine sehr schöne Stelle, an der aus dem warmen Wasser die Feuchtigkeit in dicken Nebelschwaden aufsteigt. Tanja hatte mir mal gesagt, ich solle warten, bis es richtig kalt würde ("richtig kalt" meint hier mindestens -30°C), da dann der Nebel so dick wäre, dass man keine fünf Meter weit sehen könne. Aber wenn ich nichts sehe, bringt das ja auch nichts - also waren nach drei sehr warmen Tagen (die "Eingeborenen" stöhnten schon unter der Hitze von etwa 0°C) heute die besten Voraussetzungen für ein paar seltene Fotos. Und tatsächlich: die von der grellen Wintersonne beschienenen Fluten verströmten das Flair einer orientalischen Dampfsauna. Überall stiegen aus dem dunklen Abgrund weiße Wolken erkaltender Feuchtigkeit auf und strömten den auf der Promenade laufenden Spaziergängern zu, als wollten sie diese verschlucken. Die auf dem Wasser schaukelnden Enten verschwanden hin und wieder in den undurchdringlich wabernden Schwaden, und auch die sie fütternden Kinder verschwammen mehrfach vor meinen Augen. So stand ich längere Zeit in der seichten Brise und durfte ein Schauspiel bewundern, wie es von Menschen nie ersonnen geschweige den umgesetzt werden kann.
Das sollen uns die Nowosibirsker auf ihrem Bächlein, dem Ob, erst einmal nachmachen!
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