Sonntag, 4. November 2012

М. А. Булгаков: Мастер и Маргарита

Manchmal entsteht "Kunst" ungewollt.
Als ich am 31. Januar das erste Mal mit Terjoschkins modernem Tanztheater Bekanntschaft machte, hatte ich mir vorgenommen, mich genauer mit diesem Tanz des Wahns zu beschäftigen. Nun war es gestern soweit! Wieder konnte Lisa Karten in der zweiten Reihe besorgen und wieder hatten wir das Glück, jedes Detail auch auf den Gesichtern der Tänzer zu erkennen, so dass sich meine Perspektive im Vergleich zu Januar völlig änderte.
Diese veränderte Perspektive hat ihre Ursache auch darin, dass ich mich inzwischen mit der literarischen Vorlage zu dem Stück beschäftigt habe.
Der russische Satiriker Michail Afanassjewitsch Bulgakow schrieb in den 1930er Jahren seinen in Moskau spielenden Roman Der Meister und Margarita, in dem er in einer komplizierten Satire die Verhältnisse in der Sowjetunion unter Stalin auf's Korn nimmt. Aus nachvollziehbaren Gründen konnte der Roman aber erst 1966 veröffentlicht werden. 
Religiöser Wahn? Im Himmel, auf Erden, in der Hölle?
Bulgakow muss als ehemaliger Kämpfer der "Weißen" im russischen Bürgerkrieg (1918-1922) als ein Kritiker des stalinschen Überwachungsstaates mit seiner überbordenden Bürokratie gelten. Um der Verfolgung durch den NKWD zu entgehen, versteckte er seinen kritischen Blick in einer allegorischen Geschichte aus zwei Handlungssträngen, die erst am Ende zusammenlaufen. 
Tanz des Teufels
Auf der einen Seite ist da die groteske Darstellung reller Lebensverhältnisse in der Sowjetunion durch einen Schriftsteller, der seinen Namen vergessen hat und sich deshalb nur "der Meister" nennt. Das Auftauchen des Teufels in Gestalt des Ausländers Voland führt ihn in den Wahn und der Meister wird in eine Irrenanstalt eingeliefert, wo nun die ganze Geschichte spielt. Seiner Geliebten Margarita hatte er zuvor noch ein Buch geschrieben, das er nun zu vernichten sucht. Margarita sehnt sich in ihrem öden Wohlstand nach dem Meister und kann auch mit Hilfe des Teufels ein Wiedersehen erlangen, das aber unter keinem guten Stern steht ...
Die schöne Margarita
Der zweite Handlungsstrang beschäftigt sich mit der Geschichte der Kreuzigung Jesu durch ein Urteil des Pontius Pilatus, in der Jesus - ganz im Sinne des sowjetischen Atheismus - als ein begnadeter Menschenkenner, aber ohne jegliche Heiligkeit, dargestellt wird. Erst im letzten Teil, als alle handelnden Personen im Himmel zusammentreffen und der Meister auch mit seiner Margarita scheinbar glücklich werden kann, wird die Beziehung Jesu zu Gott angedeutet...

Der Meister will sein Buch verbrennen.
Diese extrem komplizierte Geschichte so zu komprimieren, dass man sie tänzerisch in etwa 100 Minuten darstellen kann, schon allein das ist eine großartige Leistung. Noch mehr beeindruckt aber hat mich der auf der Bühne von den Tänzern dargestellte Wahn, so dass es mir an einigen Stellen angesichts der verzerrten Gesichtsausdrücke kalt den Rücken herunter lief.
Die "Verrückten" im Irrenhaus.
Unterstrichen durch die Musik in einer Mischung aus sakralen Gesängen, düsterer EBM und fröhlich-wahnsinnigen Klängen bleibt ein anhaltender Nachklang. Doch genug der Worte - den erlebten Wahn in all seiner Faszination mögen die Bilder des Abends verdeutlichen.
Da wird einem schon schummerig.
"Meister" Terjoschkin (l.)

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