Donnerstag, 29. November 2012

Добро пожаловать, Дед Мороз!

Noch immer ist November, aber Väterchen Frost fühlt sich schon sehr wohl bei uns. Heute morgen als ich aufgestanden bin, hatten wir etwa -25°C und leichten Schneefall.
Nein, Schnee"fall" ist eigentlich nicht das richtige Wort, denn in Deutschland wie in den meisten Gegenden Europas stellt man sich darunter mindestens erbsengroße Schneeflocken vor, die mit ihrem geradezu erdrückenden Gewicht auf die Erde klatschen, um auf dem warmen Boden einige Minuten zu matschen und sich dann als kleines Rinnsal in den nächsten Abfluss zu ergießen.
Hier bedeutet der Begriff "Schneien" etwa staubkornkleine Schneeflöckchen, die anstatt zu Boden zu fallen, ewig lange in der Luft tanzen. Unten angekommen, überziehen diese Kleinstschneeflöckchen alles mit einer knirschenden, weißen Staubschicht und machen jeden Schritt zu einem Erlebnis für die im Frost geröteten Ohren.
Väterchen Frost streichelt natürlich nicht nur die Ohren (falls diese nicht gänzlich von einer Mütze bedeckt sind), sondern alle freiliegenden  Teile des Gesichts. Von den Augen ergießt sich ein kleines Bächlein salziger Tränen an der Nase entlang, an deren Spitze sich diese Flüssigkeit mit derjenigen der Nase vereinigt und langsam zu gefrieren scheint. Rund um den Mund, am Kinn und auf den Wangen tanzen die kleinen Schneeflöckchen mit hochhackigen Schühchen, deren Absätze als kleine Nadeln ganz leicht in die Haut stechen...
Wer mehr erfahren will, soll sich auf die Socken machen und diesen fantastischen sibirischen Winter mit der auch heute strahlenden Sonne selbst erfahren.

Dienstag, 27. November 2012

Примечание: Что происходит?

Wenn man in Deutschland herumfragt, welcher Monat denn der schlimmste sei, werden die meisten wohl des Wetters wegen auf den grauen November verweisen. Für mich persönlich kann ich jetzt sogar auf einen bestimmten Tag setzen: den 25. November! Nein, nicht das Wetter ist schuld, denn bekanntlich scheint in Sibirien immer, naja fast immer, die Sonne, es ist trocken und gibt kaum Wind.
Novemberwetter in Sibirien - kein Grund zur Klage
Im letzten Jahr war es der 25. November, als mir mein Portemonaie mitsammt ziemlich viel Geld und allen meinen Bankkarten gestohlen wurde. Und an diesem Sonntag (dem 25. November!) meldete sich wieder einmal, wie schon im Sommer, meine linke Niere mit einer akuten Nierenentzündung. So fiel meine sonntägliche Wandertour irgendwo in den Außenbezirken Krasnojarsks flach und ich lag erst einmal lang. In Erinnerung an die Schmerzen im August, die dieses Mal zwar nur kurzzeitig aber mindestens ebenso heftig aufflammten, bekam ich ein wenig Panik und rief sofort Natalia an, die mir eine Ärztin besorgte. Auch Tanja war zur Stelle und half mir zuerst einmal mit zwei Medikamenten, die sie in der Apotheke besorgte.
Tanja hilft immer: Danke!
Als die Ärztin dann zu mir nach Hause kam (an einem Sonntag!) war das Schlimmste eigentlich schon überstanden, aber trotzdem verschrieb mir die überaus freundliche Dame eine ganze Liste von Medikamenten (zum Teil echt ekelhaftes Zeug), die ich auch gleich mit Tanjas Hilfe in der Apotheke holte. So fiel zwar meine schöne Sonntagstour aus, aber ich konnte einmal mehr praktisch erfahren, wie unverzichtbar gute Freunde sind, besonders wenn man weit weg von Zuhause ist!
War noch was? Ach ja, das Wetter!
Besucher auf meinem Balkon
In Sibirien scheint ja fast immer die Sonne, ob warm und grell im Sommer oder kalt und milchig im Winter. Wir hatten in den letzten Tagen auch recht milde Temperaturen bei knapp unter 0°C. Doch gestern am späten Nachmittag kam ein scharfer Wind aus dem Norden auf, der sich zu einem richtigen Wintersturm auswuchs. So sank die Temperatur innerhalb weniger Stunden auf -12°C.
Jetzt sind es auch tagsüber etwa -10°C, wozu eben noch der scharfe Wind kommt. Als ich heute in die Stolowaja zum Mittagessen ging, musste ich mit eben diesem kalten Wind im Gesicht laufen und bemerkte jauchzend, dass ich noch lebe. Denn wie hätte ich das Stechen im Gesicht erfahren können, wenn mich die Nierenentzündung vom Sonntag ernsthaft umgeworfen hätte? In den nächsten Tagen wird die Temperatur laut Wetterprognose auf gismeteo noch weiter fallen, so dass wir bis zum Wochenende in den Nächten auch mal die -30°C schaffen werden - und das Ende November/Anfang Dezember! Das wird sicher noch ein spannender Winter in diesem Jahr!

Samstag, 24. November 2012

Круг чтения "Lesefuchs"

Die Fregatte "Lesefuchs"
"Herzlich willkommen an Bord des Flagschiffes 'Lesefuchs'. Wir werden mit der Fregatte 'Lesefuchs', eben jenem Flagschiff, auf dem wir stehen, und den vier Schonern 'Tschick", 'Freak City', 'Polarsprung' und 'Weggesperrt' in See stechen. Wir befinden uns auf einer langen und gefährlichen Reise von Krasnojarsk nach Nowosibirsk, weiter nach Moskau und am Ende hoffentlich auch bis Riga. Ihr seid die Kapitäne der vier Schoner und müsst nun erst einmal eure Mannschaften anheuern und die genaue Segelroute ausarbeiten. Auf unserer langen Fahrt werden uns einige Abenteuer erwarten, aber es lohnt sich, diese Strapazen und einen möglichen Anfall von Skorbut auf sich zu nehmen, denn am Ende werden wir reich belohnt werden ..."
Heute nur drei Kapitäne anwesend
Mit diesen Worten begann vor drei Wochen an einem trüben Samstag der Lesezirkel zur Vorbereitung auf den diesjährigen "Lesefuchs"-Wettbewerb. Als Kapitäne der vier Schoner waren sechs Mädchen der Klassen 10 und 11 gekommen. Inzwischen sind den gefährlichen Abenteuern leider schon zwei Mädchen zum Opfer gefallen, so dass mittlerweile auf jedem Schiff eine Kapitänin das Sagen hat: 
Lisa hat das Kommando auf dem Schoner "Polsprung" und hat für ihr Schiff auch schon die relativ große Mannschaft 
angeheuert, indem sie die wichtigen Charaktere aus dem Buch herausgearbeitet hat. Ebenso vollständig ist die Mannschaft der "Freak City" unter dem Befehl von Katja, die heute auch schon ihre genau ausgearbeitete Marschroute vorstellen konnte. In der nächsten Woche haben wir dann auch die Mannschaften des Schoners "Tschick" unter dem Kommando Nastjas und der "Weggesperrt" unter Olesjas Befehl zusammen und können dann auch endlich in See stechen. 

Die Mannschaft arbeitet
???  

 Wie jetzt, ihr versteht mich nicht? Na gut, dann jetzt mal im Klartext!
Wie in jedem Jahr wird es auch in diesem Jahr den "Lesefuchs"-Wettbewerb für die Deutschlerner in Russland und einigen Nachbarstaaten geben, in dem die Besten vier deutsche Jugendbücher lesen und dann in mehreren Runden besprechen. Das Ganze erfolgt in einer Diskussion in Nowosibirsk, wo der Sieger für Sibirien gekürt wird. Dieser sibirische Lesefuchs fährt dann nach Moskau zum Halbfinale Ost, wo er/sie sich mit den besten Lesefüchsen des russischen Ostens misst. 
Und zuletzt wird der dortige Sieger zum Finale nach Riga geschickt, wo dann der beste Lesefuchs des Jahres 2013 ermittelt wird.
Arbeit an der Routenplanung
Damit meine Mädels in Nowosibirsk und dann in den folgenden Runden eine gute Chance haben, habe ich jetzt angeboten, mit ihnen über diese vier wirklich auch interessanten Bücher zu sprechen und deren Inhalt ein wenig zu diskutieren. Also treffen wir uns jetzt jeden Samstag zum Lesezirkel und sprechen über die Bücher "Freak City" von Kathrin Schrocke, "Weggesperrt" von Grit Poppe, "Tschick" von Wolfgang Herrndorf und "Polsprung" von Daniel Westland.
Jetzt bin ich also für ein paar Wochen der Admiral der kleinen "Lesefuchs"-Flottille und habe richtig viel Freude mit meinen vier hochmotivierten Kapitänen.

Sonntag, 18. November 2012

Россия - Зимняя прогулка

Was soll man noch schreiben, wenn man, wie ich am letzten Sonntag, die Größe der sibirischen Natur gesehen hat? Eigentlich war diese Woche sehr interessant gewesen, aber irgendwie bin ich nach dem Blick auf die sibirische Wildnis sprachlos.
Stillleben in der belgischen Bäckerei (ohne Brot)
Gestern hatten wir schon unseren zweiten sehr spannenden Lesezirkel zur Vorbereitung auf den diesjährigen Lesefuchswettbewerb und ich wollte darüber etwas schreiben. Aber wie, ohne Worte? Am Nachmittag bin ich dann in die Stadt zur belgischen Bäckerei gefahren und habe mir dort wieder einmal ein Tiroler Brot gekauft, denn auch wenn das russische Brot ganz gut ist, freue ich mich immer riesig darauf, in der belgischen Bäckerei Brot wie zuhause in Deutschland zu bekommen.
Dort traf ich nach Langem mal wieder Tanja und sie lud mich zu einem Kletterwettbewerb der Stolbisty in einer Sporthalle ein - zum Zuschauen, nicht zum Selbstklettern! Da ich am Sonntag sowieso in diese Gegend fahren wollte, sagte ich auch ohne lange zu überlegen zu.
Ziemlich verrückt, das Ganze!
So fuhr ich heute morgen also nach "Akademgorodok" hinaus, zum äußersten nordwestlichen Rand der Stadt, und schaute einige Zeit den Spezialisten an der Kletterwand zu. Jetzt verstehe ich auch, warum die Leute so problemlos auf die Felsen in Stolby klettern. In der Halle befand sich nicht etwa eine steile, gerade nach oben ragende Wand, sondern hier schloss sich ein Vorsprung an den anderen an - und die Leute kletterten hier scheinbar so leichtfüßig hoch, wie ich auf einen Hügel laufe. Da saß ich nun in einer Sporthalle - aber ich wollte doch eigentlich ein wenig durch die Winterlandschaft bis zum Ufer des Jenissej wandern!
Zwei Wege ...
... im Novemberschnee
So ging ich denn auch bald wieder und schlug mich durch das Akademiker-städtchen bis zum Steilufer des Flusses durch, immer in der Hoffnung auf eine Wiederholung des faszinierenden Ausblicks der letzten Woche. Nun hatte aber sich verstärkendes Schneetreiben eingesetzt und verschleierte den Blick zusätzlich zu dem Nebel, der über dem Jenissej-Tal hing: Ich sah kaum den Fluss! Also zurück und in einen Bus eingestiegen, der mich wieder in das Stadtzentrum brachte. Dort angekommen, ging ich erneut hinunter zum Fluss und hatte jetzt auch Glück, denn hier, direkt am Ufer, war die Sicht um ein Vielfaches besser - nur einzelne Schleier waberten in der kalten Luft.
Kies, mitten im Flussbett und ...
Aber wo war das Ufer? Unterhalb der lang gestreckten Uferpromenade erstreckte sich eine weiße Fläche, die ich anfangs noch als das zugefrorene, extrem flache Flussbett des Jenissej erkannte. Bald aber war auch die Eisfläche und mit ihr alles Wasser verschwunden, so dass ich meine Wanderung mitten im Kies des Flussbettes fortsetzen konnte. Schon lange beklagen die Krasnojarsker zwei Missstände, die der Bau des riesigen Wasserkraftwerkes mit sich gebracht hat.
... mancherorts sogar Büsche im Fluss!
Einerseits friert der Jenissej (zumindest der Hauptstrom) selbst bei dem allerstrengsten Frost nicht mehr zu, weil die Wassertemperatur auch im Winter immer zu hoch ist. Zum anderen, und das ist, wie ich heute sehen konnte, wahrhaft bedrohlich, nimmt der Wasserspiegel dramatisch ab. Als ich dort im trockenen Kies stand erinnerte ich mich fatal an das Tote Meer, das ich im Sommer 1997 von der Negev-Wüste in Israel kommend sah. Auch dort nimmt seit Jahren der Wasserspiegel bedrohlich ab, weil alle Anrainer, allen voran die Israelis, das Wasser des Jordanflusses zur Bewässerung ihrer Felder benutzen. Es besteht wohl kaum die Gefahr einer Wüstung in Sibirien, aber die zerstörerische Wirkung des Menschen ist hier wie dort überdeutlich.
Hier ist der Fluss zugefroren, weil das Wasser nur noch eine Handbreit tief ist.
Man kann nur hoffen, dass die Natur nicht mit voller Wucht zurückschlägt und die Staumauer so zerbricht wie die kleine Brücke, die ich in der letzten Woche am anderen Ende der Stadt gesehen habe.

Sonntag, 11. November 2012

Ура, зима пришла!

Hier zeigt sich wohl die Macht der Natur - der Mensch ist nur ein Wicht demgegenüber!
Gegen Ende seines vierwöchigen Sibirienurlaubs warf mein Vater die Frage auf, woher denn die Furcht vor Sibirien stammen könnte. "Am hiesigen Klima kann's ja wohl nicht liegen", beantwortete er auch gleich seine Frage und stellte einmal mehr fest, dass ihm die Augen wegen der fast ständig strahlenden Sonne weh taten. "Ja", möchte ich ihm heute zurufen und wieder einmal hinzufügen, dass er Sibirien noch gar nicht von seiner schönsten Seite kennengelernt hat. Jedem Besucher dieses endlosen Landes kann ich nur immer wieder raten, im Winter hierher zu kommen. Und einmal mehr bestätigt sich jetzt die unbeschreibliche Schönheit des sibirischen Winters.
Den Helden des Krieges
Seit etwa einer Woche hat der Winter Krasnojarsk fest in der Hand, mit leichtem Schneefall und Temperaturen um die -10°C und natürlich Sonne! So habe ich mich heute auf den Weg gemacht in den Nordosten der Stadt, wo sich ein recht großer Park oberhalb des Jenissej befindet. Ich war allerdings ein wenig zu früh da, denn noch hielten sich hartnäckig die Wolken, aus denen es in der Nacht geschneit hatte, und tauchten den typisch sowjetischen Park mit seinen Denkmälern für die Helden des Großen Vaterländischen Krieges in ein milchiges Grau. Als dort oben ein beständiger Wind die letzten Schneeflocken mir ins Gesicht trieben, erinnerte ich mich bald an ein Kindheitserlebnis, das ich fast vergessen hatte.

Ich glaube, es war im Winter 1981/82 als ich zu einer Kur in Bad Brambach im Erzgebirge war. An einem der schneereichen Wintertage machten wir eine Wanderung, auf der uns immer ein sehr steifer Wind begleitete. Als junger Bengel träumte ich natürlich von tollen Abenteuern und wähnte mich auf einer Polarexpedition, der ein
schneebedeckte Wildkirschen
Schneesturm in eisiger Kälte die Sicht nimmt, während die starken Kerle sich durch den hüfthohen Schnee kämpfen. Es war für uns kleine Kinder eine harte Aufgabe, aber wir waren ja hartgesotten und kamen also mit letzter Kraft an unser Ziel, wo dann eine nette Frau mit heißem Tee (oder war es Kakao?) auf uns heroische Polarforscher wartete.
Das ist mitten in der Stadt!
Nun, hüfthoch steht der Schnee noch lange nicht, aber die geschlossene Schneedecke schluckt doch schon viele Geräusche und mindert damit den schrecklichen Verkehrslärm. Da ich nun so früh fernab der großen Straßen fast ganz allein unterwegs war, konnte ich bei jedem meiner Schritte dieses herrliche Knirschen unter den Stiefeln vernehmen. Als ich dann aus dem Park herauskam und weit oberhalb des Jenissej durch die Wildnis stapfte, brach auch der Himmel auf und gab die strahlende Sonne frei.
Vor diesem Anblick verstummt der Wicht entgültig!
Sonne, Sonne, Sonne ...
Von dort oben schweifte nun mein Blick weit über das Tal des Jenissej und brach einem neuen Traum Bahn. Ich blickte hinunter auf eine weite Ebene, immer wieder durchbrochen von den flachen, sich windenden Armen des Flusses. Vor mir lag eine wilde, sumpfige Landschaft, wie man sie sonst nur mitten in der Taiga Sibiriens, zum Beispiel in der berühmten Tunguska-Region etwa 800 Kilometer nordöstlich von Krasnojarsk, sehen kann. Und so ging ich immer weiter auf dem Hochplateau, den Blick zumeist hinunter in die "sumpfige", weiß gepuderte Ebene gerichtet, bis ich dann wieder gezwungen war, in den Lärm und Dreck der großen Stadt zurückzukehren.
Heute zeigte sich wieder einmal, was ich gern wiederholen möchte: "Liebe Besucher Sibiriens, wenn Sie eine einmalige, unvergessliche Reise erleben wollen, dann kommen Sie im Winter hierher. Kaufen Sie sich hier die notwendige Winterausstattung und wandern Sie in die schneebedeckte sibirische Taiga!"

Sonntag, 4. November 2012

М. А. Булгаков: Мастер и Маргарита

Manchmal entsteht "Kunst" ungewollt.
Als ich am 31. Januar das erste Mal mit Terjoschkins modernem Tanztheater Bekanntschaft machte, hatte ich mir vorgenommen, mich genauer mit diesem Tanz des Wahns zu beschäftigen. Nun war es gestern soweit! Wieder konnte Lisa Karten in der zweiten Reihe besorgen und wieder hatten wir das Glück, jedes Detail auch auf den Gesichtern der Tänzer zu erkennen, so dass sich meine Perspektive im Vergleich zu Januar völlig änderte.
Diese veränderte Perspektive hat ihre Ursache auch darin, dass ich mich inzwischen mit der literarischen Vorlage zu dem Stück beschäftigt habe.
Der russische Satiriker Michail Afanassjewitsch Bulgakow schrieb in den 1930er Jahren seinen in Moskau spielenden Roman Der Meister und Margarita, in dem er in einer komplizierten Satire die Verhältnisse in der Sowjetunion unter Stalin auf's Korn nimmt. Aus nachvollziehbaren Gründen konnte der Roman aber erst 1966 veröffentlicht werden. 
Religiöser Wahn? Im Himmel, auf Erden, in der Hölle?
Bulgakow muss als ehemaliger Kämpfer der "Weißen" im russischen Bürgerkrieg (1918-1922) als ein Kritiker des stalinschen Überwachungsstaates mit seiner überbordenden Bürokratie gelten. Um der Verfolgung durch den NKWD zu entgehen, versteckte er seinen kritischen Blick in einer allegorischen Geschichte aus zwei Handlungssträngen, die erst am Ende zusammenlaufen. 
Tanz des Teufels
Auf der einen Seite ist da die groteske Darstellung reller Lebensverhältnisse in der Sowjetunion durch einen Schriftsteller, der seinen Namen vergessen hat und sich deshalb nur "der Meister" nennt. Das Auftauchen des Teufels in Gestalt des Ausländers Voland führt ihn in den Wahn und der Meister wird in eine Irrenanstalt eingeliefert, wo nun die ganze Geschichte spielt. Seiner Geliebten Margarita hatte er zuvor noch ein Buch geschrieben, das er nun zu vernichten sucht. Margarita sehnt sich in ihrem öden Wohlstand nach dem Meister und kann auch mit Hilfe des Teufels ein Wiedersehen erlangen, das aber unter keinem guten Stern steht ...
Die schöne Margarita
Der zweite Handlungsstrang beschäftigt sich mit der Geschichte der Kreuzigung Jesu durch ein Urteil des Pontius Pilatus, in der Jesus - ganz im Sinne des sowjetischen Atheismus - als ein begnadeter Menschenkenner, aber ohne jegliche Heiligkeit, dargestellt wird. Erst im letzten Teil, als alle handelnden Personen im Himmel zusammentreffen und der Meister auch mit seiner Margarita scheinbar glücklich werden kann, wird die Beziehung Jesu zu Gott angedeutet...

Der Meister will sein Buch verbrennen.
Diese extrem komplizierte Geschichte so zu komprimieren, dass man sie tänzerisch in etwa 100 Minuten darstellen kann, schon allein das ist eine großartige Leistung. Noch mehr beeindruckt aber hat mich der auf der Bühne von den Tänzern dargestellte Wahn, so dass es mir an einigen Stellen angesichts der verzerrten Gesichtsausdrücke kalt den Rücken herunter lief.
Die "Verrückten" im Irrenhaus.
Unterstrichen durch die Musik in einer Mischung aus sakralen Gesängen, düsterer EBM und fröhlich-wahnsinnigen Klängen bleibt ein anhaltender Nachklang. Doch genug der Worte - den erlebten Wahn in all seiner Faszination mögen die Bilder des Abends verdeutlichen.
Da wird einem schon schummerig.
"Meister" Terjoschkin (l.)