Montag, 29. Oktober 2012

Воскресенье в Красноярске

Nach dem "spektakulären" Aufstehen am Sonntag um 9.00 Uhr (3.00 oder 2.00 Uhr in Deutschland) wollte ich, wie schon in der vorhergehenden Woche, ganz im Sinne der großen russischen Entdecker (erwähnt sei hier nur Ataman Jermak, der Eroberer Sibiriens) in unerforschte Gegenden vordringen. Na gut, ich würde nicht der Erste sein, der diese Gebiete betreten würde, das war mir klar - aber gibt es nicht immer wieder etwas zu entdecken?
Ich stieg also in irgendeinen Bus ein und wartete ab, wohin der mich tragen würde, als ich mich am "КрасТЭЦ" wiederfand. Ich hatte ja schon von diesem Einkaufszentrum gehört, mir aber keine Vorstellung machen können von diesen Ausmaßen!
Nein, das ist kein Sowjet-, sondern ein moderner Konsumtempel!
Da stand ich dann vor einem, nein, eigentlich waren es drei riesige Gebäude, die ein wenig an den großartigen Stil der Sowjetära erinnerten. Eine gut lesbare Aufschrift wies mich aber darauf hin, dass die Menschen hier einkaufen könnten. Also ging ich einfach mal hinein - und ... Ich war wie erschlagen! In endlosen Reihen, auf mehreren Etagen frönten die Menschenmassen hier dem Konsum und kauften, oder man muss wohl eher sagen probierten, Mäntel in tausenden Formen und Farben. Denn im Grunde genommen waren diese drei Gebäude von unten bis oben fast vollständig nur mit Pelzmänteln und Winterjacken vollgestopft. Wer soll die denn alle tragen? Wozu dieser enorme Überfluss?
Mit umnebelten Hirn stolperte ich wieder zurück auf die Straße und entdeckte nun auch den Chinesenmarkt, von dem ich soviel gehört habe. Was ich dann dort gewahrte, stellte selbst die Eindrücke des Einkaufszentrums noch in den Schatten, denn auf riesigen Flächen voller Waren wurde Kleidung für alle Lebenslagen und jede Person angeboten, darunter - natürlich - in weiteren unermesslichen Mengen wieder Mäntel.
Und wieder waren die tausenden Menschen dem Kaufrausch erlegen. Allerdings hatte der Markt, ganz im Gegensatz zum Einkaufszentrum, eine gewisse persönliche Note, der ich mich auch nicht entgegenstemmen wollte. So sprach ich hie und da auch mit den Verkäufern und informierte mich über die Waren und Preise. Zum Schluss habe ich dann doch noch Geld ausgegeben: umgerechnet 2,- € für zwei Paar richtig warme Wintersocken!
Spannend wurde der Tag dann noch einmal, als ich mich mit Michael und Iwan zu einem Saunabesuch verabredete. Zu fünft, Nikolai und Andrej stießen noch zu uns, schwitzten wir also zwei
Stunden in der Banja. Ganz im Gegensatz zu allen Klischees über versoffene Orgien in russischen Banjas tranken wir nur Tee und Wasser und hatten auch keinen Damenbesuch. --- OK, das glaubt wieder keiner, aber is ja auch egal!
Weil ich Micha schon lange nicht mehr gesehen habe und wir uns auch recht viel zu erzählen hatten, gingen wir dann noch ins "New York", einem recht netten Restaurant/Cafe mitten im Zentrum. Man kann da richtig gut essen oder einen Kaffee schlürfen und mit Freunden einfach mal die Seele baumeln lassen. Und so saßen wir dann zu dritt (Michas Freundin Anja war noch dazugestoßen) den Abend zusammen und quatschten über Gott und die Welt. Alles in allem war das ein richtig ereignisreicher Sonntag mit herrlichem Wintersonnenwetter - und nächste Woche geht's dann weiter.

Sonntag, 28. Oktober 2012

Изменение времени

Als ich heute morgen aufgestanden bin, war das schon ein ganz besonderer Vorgang, denn in dem Moment, als ich meine Bettdecke zurückschlug, betrug der Zeitunterschied zu Deutschland sechs Stunden. Als ich dann den Fuß auf dem Boden aufsetzte, war ich plötzlich sieben Stunden von Deutschland entfernt.
Das ist eigentlich falsch, aber ich fand das Bild so schön.
In Westeuropa hat man heute also mal wieder die Uhren auf Winterzeit umgestellt. Im Russischen Reich wurde aber die Zeit im Sommer 2011 per Ukas angehalten, so dass auch in Sibirien immer Sommer ist. Mit der Begründung, dass die Kühe im Land durch die Zeitumstellung durcheinander kommen, wurde also die Zeitumstellung einfach ausgesetzt - eine gut nachvollziehbare Maßnahme. Warum das allerdings gerade in der künstlichen Sommerzeit geschehen musste, kann sich hier auch niemand erklären. Nun meckern, wie ich schon gehört habe, die Bauern, dass sie im Winter den halben Tag im Düstern arbeiten müssen. Und auch die Duma hat wieder einen Antrag eingebracht, dass man doch auf Winter umstellen sollte (Zeitumstellung in Russland).
War noch was? Ach ja: "Deutschland, einig Jammerland"! Die deutschen Nachrichten überschlagen sich wieder einmal in der Panikmache (Wintereinbruch), weil es jetzt plötzlich frostig geworden ist und sogar Schnee gefallen ist. Viele Schlagzeilen sprechen wieder von einem "historischen" Ereignis und behaupten, es wäre etwas ganz außergewöhnliches, Frost im Oktober zu haben.
Ich weiß nicht genau, ob das in einem anderen Leben war, aber ich kann mich noch an Schnee und Frost auch im Oktober erinnern, als ich ein kleiner Bengel war - aber das war ja auch im Wilden Osten, also nicht im Einflussbereich von BILD & Co.

Samstag, 27. Oktober 2012

Посвящениу в гимназисты

Manchmal sitze ich in der Schule und bemerke, wie furchtbar anstrengend kleine Kinder sein können, nämlich immer dann, wenn diese lautstark in den Pausen "randalieren". Leider ist mein Kabinett in der oberen Etage bei den Grundschülern. Heute habe ich die kleinen "Scheißerchen" aber mal ganz anders erlebt, denn es gab ein Fest, das ganz ihnen gewidmet ist.
Diese Zwerge erheben sich kaum einmal über 100 Zentimeter - heute waren sie die Größten.
Die Piraten gucken ganz böse...
Jedes Jahr nach etwa zwei Monaten werden die Erstklässler in einer feierlichen Zeremonien zu Gymnasiasten "geweiht". Und da standen sie nun: Vierzig niedliche Kinderlein erwarteten mit großen Augen und offenen Mündern ihre Aufnahme in den Kreis der Gymnasiasten, nachdem die ganz Großen Schüler sie in die Turnhalle begleitet hatten. Sollten diese vierzig süßen Zwerge etwa dieselben sein, wie die gräßlichen Schreihälse vor meinem Raum in den Pausen? Ja, das waren dieselben! Leider kommen die Schüler auch in den Pausen nicht aus der Schule raus, was in den hiesigen Wintern natürlich sehr verständlich ist. Und so ein Zwerg braucht nunmal seine Bewegung, wenn er schon im Unterricht still sitzen muss.
... aber der Kapitän hat sie im Griff.
Und still sitzen mussten die Kleinen auch in der Turnhalle erst einmal für die Begrüßung und die kurze Ansprache des Kapitäns. Spannend wurde es dann, als vier wilde Piraten den Saal stürmten und den Zwergen versprachen, sie würden die Kleinen bei jeder sich ihnen bietenden Gelegenheit am Lernenn hindern. Doch der Kapitän handelte mit den wüsten "Kerlen" einen guten Deal aus: Wenn die Zwerge sie von ihren guten Absichten überzeugen würden, dann zögen sich die Piraten zurück und würden die Kleinen in Ruhe lernen lassen.
Русские сказки и ...
Das war das Stichwort für die Zwerge, die in den folgenden Minuten den Eltern, Lehrern und natürlich den Piraten ihren festen Willen zu erfolgreichem Lernen in Gedichten, Liedern und kleinen Geschichten darboten.
... немецкая Вундерландия.
Zwar blieben die Piraten auch weiterhin sehr bärbeißig, aber sie versprachen, die Kinder in Ruhe lernen zu lassen und erst danach wieder zurückzukommen. Und genau dieser Lernprozess begann denn auch sofort. In sechs Räumen waren Lernstationen aufgebaut, in denen sie Rätsel zu lösen hatten: im Russisch-Kabinett mussten die Schüler unterschiedliche Märchenfiguren erkennen, im deutschen "Wunderland" wuchsen neben Orangen, Ananasfrüchten und Äpfeln auch Mohrrüben, Kartoffeln und Radieschen alle am gleichen Baum, die Informatiker lockten mit Computerspielen und die Mathematiker mit Zahlenspielereien.
...das sind die Zwerge.
Bei den Chemikern und Biologen stank es wie immer, aber umso weiter öffneten sich Augen und Münder, als es dann knallte und blitzte.
Das da zwischen den großen Schleifen...
Am Ende hatten sie alle ihre Aufgaben gelöst und wurden feierlich mit einer Urkunde in den geweihten Kreis der Gymnasiasten aufgenommen. Und da habe ich dann noch einmal ganz genau diese kleinen "Strahlemänner" angesehen und war fast dem Impuls erlegen, mir so ein süßes "Scheißerchen" einzupacken und mit nach Hause zu nehmen... Ach sollen sie doch krakeelen vor meinem Kabinett - ich mache die Tür zu oder gehe einfach in die Stolowaja!

Mittwoch, 24. Oktober 2012

Старые люди и инвалиды

Haupteingang des Bahnhofs
Ich lebe nun seit über einem Jahr in Krasnojarsk und habe nicht ein einziges Mal einen Rollstuhlfahrer gesehen. Überhaupt sind Menschen mit Behinderungen in der Öffentlichkeit kaum zu erblicken - nur gelegentlich tauchen bettelnde Krüppel auf, die  ein Bein oder einen Arm verloren haben. Wo sind die Behinderten Russlands abgeblieben?
Treppen sind immer zu überwinden
In Gesprächen mit russischen Freunden und in eigenen Beobachtungen habe ich meinen Eindruck mehrfach bestätigt bekommen: die Gesellschaft nimmt bisher recht wenig Rücksicht auf Behinderte und alte Menschen. Das beginnt schon damit, dass die Rente für die Menschen, die ein Leben lang für ihr Land und ihre Nachfahren geschuftet haben, kaum zum Leben reicht, weshalb viele alte Mütterchen und Väterchen auf dem Rynok einen Rubel dazu verdienen müssen. Man hat mir auch erzählt, dass die Zustände in den meisten hiesigen Altersheimen dergestalt sind, dass man seine bettlägerige Oma oft eher zuhause versorgt, als sie dorthin zu geben.
Nicht der einzige und nicht der höchste Problembordstein
Dadurch entstehen zum Teil fast unmenschliche Belastungen, wenn nämlich eine junge Frau Tag und Nacht für ihre ans Bett gefesselte Großmutter sorgen muss. Nur wenn die junge Frau arbeiten geht, wird sie stundenweise durch eine teuer zu bezahlende Pflegerin vertreten. Ein eigenes Leben ist für diese junge Frau fast unmöglich, und auch die Oma leidet unter den logisch folgenden Spannungen, die ein solches Leben mit sich bringt, weil natürlich keiner damit zufrieden sein kann.
Auch für die, die sich bewegen können, ist der Alltag erheblich erschwert, wenn sich nämlich direkt an einem Fußgängerüberweg im Stadtzentrum Krasnojarsks eine Bordsteinkante etwa 40 Zentimeter in den Himmel erhebt, oder wenn es beim Einsteigen in den Bus einen Höhenunterschied von knapp 60 Zentimetern zu überwinden gilt. Man stelle sich einmal (wie schon mehrfach erlebt) ein 80-jähriges Mütterchen vor, das mit seinen schweren Einkäufen in den Bus einsteigen will. Im Bus gibt es dann die nächste Schwierigkeit, wenn sich niemand bequemt, der alten Dame einen Sitzplatz anzubieten. Der Busfahrer jagt, noch fast während des Einsteigevorgangs, mit Vollgas von der Bushaltestelle los - bis zu nächsten Ampel ... dort muss er ja eine Vollbremsung hinlegen, um keinen Auffahrunfall zu verursachen. Nicht alle Busfahrer sind so - natürlich, aber ich habe einmal einen alten Mann mit Krücken und nur einem Bein im vollbesetzten Bus lang hinschlagen sehen.
Ein hoffnungsvoller Anblick
Aber ich habe doch einige Hoffnung, denn hier in Krasnojarsk verändert sich einiges. An einem ganz neu gebauten Geschäft an der Haltestelle "Rodina" (bei mir um die Ecke) gibt es immerhin schon eine Behindertenauffahrt zum Eingang des Geschäftes.
Der Fahrstuhl am Bahnhof
Auch unser toller, moderner Bahnhof verfügt über einen Behindertenaufzug, der sich allerdings an einer entfernten Ecke befindet und den etwaigen Rollstuhlfahrer lediglich in die Schalterhalle bringt. Wie gehts dann weiter?
Der Einstieg am Zug
Ich konnte keinen Weg für einen Behinderten zu den Bahnsteigen finden. Überall gilt es, viele Treppen, zum Teil sehr steile und enge Treppen, zu überwinden, so dass selbst mit umfassender Hilfe das Fortkommen zu einer Tortur wird. Auch alte Menschen haben hier natürlich erhebliche Probleme, zumal viele mit der Transsib Reisende schweres Gepäck dabei haben. Und wenn sie dann auf dem Bahnsteig sind, dann ist ihr Leiden längst nicht beendet, denn sie müssen sich irgendwie in die etwa 120 Zentimeter hohen Züge über eine extrem steile und sehr schmale Treppe kämpfen. Ich habe auch schon einen jungen Schaffner dabei gesehen, wie er eine alte Frau mit sehr schweren Taschen genüsslich beobachtete, als diese sich abquälte. Ist es nicht eine Selbstverständlichkeit, dass man der Frau wenigstens mit den Taschen hilft? Für mich war es dann mal Zeit zu handeln, aber lösen kann ich das Problem damit nicht.

Dienstag, 23. Oktober 2012

Н. В. Го́голь: Плохие дороги и дураки

Der große russische Schriftsteller Nikolai Wassiljewitsch Gogol (1809-1852) hat einmal behauptet, Russland habe zwei bedeutende Probleme, nämlich "schlechte Straßen und Dummköpfe", was bis heute in genau den gleichen Worten kolportiert wird. Nun hat es Russland ja nicht an guten Ideen, glänzenden Leistungen und Schaffenskraft gemangelt - also hat sich Gogol bei den "Dummköpfen" wohl geirrt.
Was ich aber schon des öfteren beobachtet habe und was mir auch russische Freunde, Kollegen und Schüler immer wieder bestätigten, ist die Tatsache, dass hier viele Straßen erhebliche Unebenheiten aufweisen. Da reicht schon, wie mein Vater an einem seiner ersten Besuchstage hier feststellen konnte, ein kräftiger Regenschauer von 30 Minuten Dauer aus, um die Straßen an einigen Stellen unpassierbar zu machen, weil große Seen eine sichere Passage ausschließen.
Orginal!
Heute konnte ich auf dem Roten Platz (Ja, wir haben in Krasnojarsk auch einen Roten Platz!) einen solchen See fotografieren und habe in Erinnerung an Dalís "Schwäne spiegeln Elefanten" zufällig das künstlerische Potential der russischen Straßen entdeckt:
Kunst?


Samstag, 20. Oktober 2012

Холодные дни в Красноярске (2)

Wie aus einem Märchen ...
Heute nun beschloss ich an einem milchig-sonnigen Vormittag - es hatte in der letzten Nacht nur ein bisschen geschneit -, meine Entdeckungstouren mit dem Bus fortzusetzen und stieg gegen Mittag in einen mir nicht genauer bekannten Bus in eine mir völlig unbekannte Gegend. Aber schon während der Fahrt setzte leichter Schneefall ein, der nach meinem Ausstieg in einer eher dörflichen Gegend sich zusehends verstärkte.
Da stand ich nun zwischen alten und noch älteren Holzhäuschen auf einer "Straße", die nach mitteleuropäischen Maßstäben diesen Namen nicht verdient, und sah zwischen den tanzenden Schneeflöckchen in russische Gärten. Ein russischer Garten, das muss hier unbedingt erwähnt werden, hat mit den penibel gepflegten deutschen Rasen- und Blumenflächen nichts gemein. Da wird jeder Milimeter mit praktischem Nutzen in Anspruch genommen durch den Anbau von Obst und Gemüse, das die vom schwer verdienten Geld zusammengekauften Lebensmittel oft genug mehr als nur ergänzt.
Die meisten der Gärten, die ich dort zu Gesicht bekam, machten allerdings einen sehr verwahrlosten Eindruck als Ablageplatz für Baumaterial und Schutt. Mittendrin dann die oft windschiefen Holzkaten in Graubraun - dazwischen allerdings entdeckte ich auch ein paar recht schnuckelige, bunt bemalte Holzhäuschen in bester russischer Tradition.
Aufgrund der Kälte und weil es in dieser Gegend nicht viel mehr zu sehen gab, machte ich mich schon bald wieder auf den Weg, stieg in einen (wie sollte es anders sein?) mir unbekannten Bus und kam mit diesem zum "Проспект Газеты Краснояпский Рабочий" (ja, so heißt tatsächlich die
wichtigste Hauptstraße auf dem rechten Ufer, weshalb man nur kurz "Krasrab" sagt), wo ich mich dann wieder besser auskannte. Allerdings war ich nie bis zu dieser Ecke vorgestoßen und war erstaunt, wie schön es dort war. Da entdeckte ich dann auch - man höre und staune! - ein niedliches Denkmal, das die Bremer Stadtmusikanten darstellte: Esel, Hund, Katze und Hahn!
Mit Hunger im Bauch und kalten Füßen hielt ich mich aber nicht allzu lange dort auf und suchte die nächste Stolowaja, die auch bald mit der "Stolowaja Samowar" gefunden war. So gemütlich, wie es der Name (Ein
Samowar im Zug der Transsib
"Samowar" ist die traditionelle russische Tee"maschine", die heute aber höchsten noch in den Zügen der Transsib Anwendung findet.) versprach, war es dann auch in der kleinen Kantine. Auf Holzbänken an massiven hölzernen Tischen konnte ich mich wunderbar aufwärmen und dabei meine Soljanka, den Mors und ein typisch russisches Hauptgericht genießen. Aber schon der Blick aus dem Fenster sagte mir, dass meine Tour für heute vorbei war. Es hatte wildes Schneetreiben begonnen, das bis jetzt anhält und die ganze Stadt in ein märchenhaftes Weiß taucht.
Dieser Anblick, aus meinem Fenster heraus, mag mich vielleicht ein wenig über den Gedanken an 25°C Sommersonnenwetter in der Heimat hinwegtrösten. Im November und Dezember lebe ich wieder auf der Sonnenseite.
Die "Uliza Wawilowa" vor meinem Fenster am 20. Oktober 2012, um 20.30 Uhr!

Холодные дни в Красноярске (1)

Tagesschau vom 19.Oktober 2012
Ich habe in den letzten Jahren immer wieder die Erfahrung gemacht, dass der Wetterbericht der Tagesschau recht zuverlässig ist. Wenn ich nun diesen Erfahrungen folge, dann blicke ich doch schon sehr sehnsüchtig auf den verspäteten deutschen Sommer mit Temperaturen bis zu 25°C aus einer verschneiten Landschaft im fernen Sibirien. Nachdem ich schon am letzten Wochenende fast nichts unternehmen konnte, weil das Wetter es nicht zuließ, habe ich auch an diesem Samstag ein wenig Pech.
Krasnojarsk, Kommunalbrücke über den Jenissej am 20. Oktober 2012
Na gut, so ganz "eingeigelt" hatte ich mich ja nicht, denn ich bin wenigstens einmal am vergangenen Sonntag in eines dieser riesigen Einkaufszentren, wie es sie an mehreren Stellen in der Stadt gibt, gefahren. Eigentlich ist der Weg ins "Июнь" (zu Deutsch heißt das Einkaufszentrum "Juni") immer recht lohnenswert. Jetzt zeigte sich aber, dass der dortige gute Buchladen mittlerweile geschlossen ist, so dass ich auch nicht wirklich etwas erreicht habe. Ich konnte aber beobachten, wie viel hier für die Kinder getan wird. Im "Июнь" gibt es, wie in allen größeren Einkaufszentren, eine große Fläche zur Unterhaltung kleiner und großer Kinder. 
Teil der Kinderbespaßung - die Fressecke
Man stelle sich das nicht vor, wie eine kleine lieblos hingeworfene Hüpfburg, sondern als eine riesige familientaugliche Anlage, die sich fast ganz über eine Etage ersteckt. Für Kinder tun die Russen eben alles, was aber auch zu einigen Fehlentwicklungen führt. So habe ich beobachtet, wie verwöhnt und unerzogen einige Kinder sind, die es nicht im Geringsten einsehen würden, im Bus für ein gebrechliches Mütterchen aufzustehen. In einem Fall kam ein solches Kind sogar auf meinen Platz zu und stellte sich fordernd vor mir auf. Als es dann anfing zu schreien, bedeutete mir die von ihrem Kinde gut erzogene Mutter, dass ich gefälligst dem Kind meinen Platz zu überlassen habe. Warum soll ein Kind nicht mal seine unausgereiften Muskeln trainieren, warum muss wegen des frechen Kindes eine alte Dame im schaukelnden Bus stehen?
Im hochmodernen Trolleybus
Vom  "Июнь" aus bin ich dann auf gut Glück einfach mit einem mir unbekannten Bus weitergefahren und habe mich im Zentrum wiedergefunden. Auch das Busfahren ist hier in Russland eine etwas andere Erfahrung, denn die Busse sind schon etwas Besonderes. Was ich in Deutschland noch nie gesehen habe, sind die Trolleybusse, die mit Strom über Oberleitungen ähnlich wie Straßenbahnen fahren. Das Tolle daran ist, dass man in diesen Bussen sich nicht der Gefahr aussetzt, an einer Abgasvergistung langsam zu sterben. Außerdem bieten diese Busse eine herrlich ruhige, wenn auch oft etwas langsamere Fahrt, denn natürlich sind die Motorengeräusche nicht vorhanden. 
Das Argument, welches ich hier von einigen Freunden gehört habe, dass diese Busse ein hervorragender Beitrag zum Umweltschutz sind, halte ich aber für totalen Blödsinn, denn irgendwo muss der Strom ja herkommen. Und wir alle wissen, dass auch in der Energieerzeugung Russland nicht gerade ein Vorreiter des Umweltschutzes ist. Kohle, Erdöl oder Atomkraft - das ist hier die Frage. Eine Solarzelle oder ein Windrad habe ich bisher noch nicht in Russland entdeckt.
Noch ein ganz alter Trolleybus
Wie wenig Energiesparen zählt, sieht man jetzt wieder daran, wie schrecklich die meisten Räume überheizt sind. In vielen Gebäuden ist es gar unmöglich, die auf Höchsttouren bullernde Heizung abzustellen. Da bin ich froh, dass ich trotz der frostigen Temperaturen derzeit meine Heizung immer noch ausdrehen kann, denn die offen durch die Wohnung verlaufenden Heizungsrohre tun eine völlig hinreichende Arbeit in diesen kalten Tagen.

Freitag, 12. Oktober 2012

Снег падает!

Frostschutzcreme für -40°C!
Es ist der 12. Oktober und es schneit seit 24 Stunden fast ununterbrochen. Laut Wetterbericht auf http://www.gismeteo.ru/ wird es noch zwei weitere Tage weiter schneien; bei etwa -5°C! Ich werde mich an diesem Wochenende wohl in meiner Hütte "einigeln" und das Elend von Ferne betrachten.
Selbst die Russen hier sprechen von einem sehr frühen und sehr plötzlichen Wintereinbruch. Besonders ungewöhnlich ist nach ihren Worten die Tatsache, dass dieser Oktoberschnee auch den ganzen Tag über erhalten bleibt. Irina meinte heute allerdings zu mir, es würde in der nächsten Woche wieder wärmer. Wunschdenken?! 


Soll Väterchen Frost doch kommen - ich bin gewappnet
!

Donnerstag, 11. Oktober 2012

Bнезапнo - Первый снег

Angeblitzte Schneeflocken im Morgengrau
Gestern abend saß ich an meinem Computer und schrieb in einer Mail nach Deutschland, es würde wohl noch etwa vierzehn Tage dauern, bis hier in Krasnojarsk der erste Schnee fallen würde. Währenddessen peischte ein erbarmungsloser Südostwind den schneidend kalten Regen über die Stadt. Wer hätte aber gedacht, dass sich dieser Regen noch in derselben Nacht in Schnee verwandeln würde und damit den 11. Oktober zum ersten Vorwintertag werden lassen würde? Ja wir hatten heute früh erstmals eine weißgetünchte Landschaft im Schneetreiben! Der kalte Wind ließ dabei die gefühlte Temperatur weit unter Null sinken, und selbst jetzt sind noch vereinzelte weiße Flecken zu sehen.
Auf dem Weg zur Schule konnte ich dann einige blühende Blumen entdecken, die sich nur schwach in dem Frost aufrecht halten konnten. Und selbst die bunten und zum Teil sogar noch grünen Bäume ließen ihre Äste hängen. Durch den weißen Hintergrund kommen die herbstlichen Kontraste rot-gelb-grüner Laubbäume natürlich noch viel besser zur Geltung, aber das ist nur ein geringer Trost bei rotgefrorenen Fingern.
Bewaffnet mit einem Fotoaparat machte ich auf meinem Schulweg noch eine interessante Beobachtung. Obwohl eigentlich nicht erlaubt, haben viele Familien in der Stadt einen sogenannten "подвал", einen außerhalb des Hauses gelegenen "Keller", ein mit einem schweren Eisendeckel abgedecktes Loch in der Erde. Im Sommer und in der Übergangszeit dienen diese etwa zwei bis drei Meter tiefen "подвалы" als kühle Lagerstätte für Obst und Gemüse.  
Das sind die "подвалы".
Im Winter werden sie dann zu dem berühmten sibirischen Kühlschrank umfunktioniert, in dem allerhand Tiefgefrorenes eingelagert werden kann. Ein ganz eiliger Besitzer eines solchen "Kellers" war schon heute, im allerersten Schneetreiben dabei, sein Erdloch zum Kühlschrank umzufunktionieren, obwohl der nötige tiefe Frost wohl noch länger auf sich warten lassen wird.
In Deutschland gäbe es ein Warnschild.
Gefährlich oder zumindest lästig wird jetzt leider jeder Gang auf den Straßen der Stadt. Da es keine hinreichenden Abflüsse auf den meisten Straßen gibt, bleibt selbst der seichteste Schneematsch längere Zeit erhalten. Die gestern noch regennassen Wege verwandeln sich in gefährliche Rutschbahnen und auch die Provisorien zur Umgehung der schlimmsten Pfützen sind nicht mehr sicher. Da sich auf dem Schulhof an einer Stelle, die ich zwingend passieren muss, der Regen fast dauerhaft in einer riesigen Pfütze staut, ist jemand auf die kluge Idee gekommen, eine Art Steg aus zwei Brettern auf Holzblöcken zu bauen, um so den See zu überbrücken. Wie erwartet ist die Feuchtigkeit darauf aber heute zu einer lustigen Rutschbahn gefroren.
Meinen Schülern, die ja zumeist schon in Deutschland waren, konnte ich heute aber mal ganz anschaulich erklären, was Winter in Norddeutschland bedeutet. Sie alle haben Deutschland ja nur im Frühjahr und Sommer kennengelernt und daher ein etwas verzogenes Bild verinnerlicht. Welcher Sibiriak kann sich schon zwei oder drei Monate vorstellen, in denen das Wetter nicht weiß, ob es Winter sein soll oder doch lieber Herbst? Wie soll ein Sibiriak den Gedanken ertragen, dass die Sonne sich über Wochen schmollend hinter dicken Regen-Schnee-Matsch-Wolken zurückzieht?