Samstag, 29. Dezember 2012

Дед Мороз и Снегурочка

Bekanntlich wird in Russland Weihnachten nicht wirklich gefeiert. Zwar gehen eine Handvoll gläubiger orthodoxer Christen am 07. Januar in die Kirche, aber seit Weihnachten von den Sowjets als religiöses Fest verboten wurde hat es sich bis heute nicht mehr etabliert. Anstelle des Weihnachtsmannes haben die Russen ihren "Дед Мороз" (Väterchen Frost), der von seiner Enkelin "Снегурочка" (Schneeflöckchen) begleitet wird. Und ich habe heute die einzig wahre, lebende Снегурочка gesehen!
Die Tische biegen sich (fast)
Wir haben heute, nach Ende der letzten Schulstunde vor den Ferien, die Neujahrsfeier des Kollegiums in unserer Stolowaja gefeiert. Solch eine Kollegiumsfeier ist in Russland etwas völlig anderes als in Deutschland, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Alle sitzen an einer reich gedeckten Tafel, schwatzen, essen und trinken. Zwischendurch werden jedoch immer wieder von verschiedenen Seiten spontane Toasts ausgegeben oder sonstige humorvolle Redebeiträge geboten. Immer wieder wird das Mahl mit richtig tollen und zumeist sehr lustigen Programmpunkten unterbrochen - da wird dann Theater gespielt, getanzt, gesungen, oder auch ab und zu ein laanges Gedicht rezitiert und ...
Väterchen Frost und Schneeflöckchen
Irgendwann rufen alle aus voller Kehle nach "Дед-Мо-роз-Сне-гу-роч-ка", bis diese beiden sich bequemen zu erscheinen: Väterchen polternd und Schneeflöckchen mit grazilen Tippelschritten. Und dann stand sie vor uns! Eine junge Kollegin, die ich zumindest vom Sehen her ganz gut kenne, hatte sich in ein leuchtend blaues Kostüm mit einer ebensolchen Pelzmütze gekleidet und verkörperte damit wie keine zweite die kleine Enkelin des alten Herrn.
Wer ist denn nun dieses Väterchen Frost?

Wie der Name schon andeutet, verkörpert Дед Мороз den Winter, und das schon seit langer Zeit, im russischen Märchen. Nachdem die Sowjets den Menschen in Russland nicht nur die Religion sondern auch die gesamte damit zusammenhängende Symbolik wegnahmen, musste ein Ersatz her. Da bediente man sich des alten Märchens, in dem der Alte in einen blau-weißen Mantel (!) gekleidete Mann mit seinem Enkeltöchterchen winterliche 
Abenteuer erlebt. Väterchen Frost durchstreift die verschneiten Wälder in seiner "Troika", einem Pferdeschlitten mit drei nebeneinander vorgespannten Pferden, und führt dabei ein langes Zepter mit, das alles, was es berührt, zu Eis erstarren lässt.
Nicht erst im 20. Jahrhundert entstanden, hat diese Geschichte und damit Väterchen Frost seinen Durchbruch erst nach der Oktoberrevolution 1917 und dann später in vielen anderen slawischen Ländern Osteuropas. Heute wird diese Tradition in den katholischen Ländern Osteuropas jedoch wieder durch den klassischen Weihnachtsmann zurückgedrängt, und auch der russische Дед Мороз tritt immer öfter im roten Mantel wie der westliche Nikolaus auf.

Weihnachtsgeschichte mal anders
Und nochmal: Snjegurotschka!
Für mich war heute nicht der auch bei uns rot gekleidete Vater Frost (auch dargestellt von einem Kollegen), sondern die das Schneeflöckchen in Perfektion verkörpernde Kollegin eine Offenbarung. Wie war das schön, als sich die beiden dann zu uns setzten und mitfeierten...
 Und wenn sie nicht nach Hause gegangen sind, dann feiern sie noch immer!

Dienstag, 25. Dezember 2012

Приключения: больница

Ja, Steine können ganz erhebliche Probleme bereiten, wenn sie in den Nieren stecken. Das habe ich in den letzten drei Wochen schmerzhaft erfahren müssen, dabei aber auch Erfahrungen sammeln können/müssen, die mir mit Sicherheit erspart geblieben wären ohne Steine.
Eingang zum Krankenhaus
Nach langem Hin und Her mit ziemlich schlimmen Schmerzen, hohem Fieber und recht wirren Phasen der Schwäche haben mich die Kolleginnen zwangsweise ( zu meinem großen Glück, wie ich jetzt weiß) in ein staatliches russisches Krankenhaus einliefern lassen, so dass ich seit dem 13. Dezember bis gestern in der Tristesse des Krankenhauses, abgeschnitten von der für mich so wichtigen Internetverbindung zur Außenwelt, fristen "durfte". Die ungemein fähigen Ärzte in diesem leider nicht sehr gut ausgestatteten Krankenhaus auf der ganz anderen Seite Krasnojarsks fanden auch sehr schnell heraus, was mir wirklich fehlte: 
Etwa so verschwommen fühlte ich mich.
Ein sehr großer Nierenstein hatte sich unterhalb der linken Niere im Harnleiter festgesetzt und überschwemmte so die Niere mit dem ganzen Abwasser, was dazu führte, dass sich die Niere erheblich entzündete und bereits auf die anderen Organe ausstrahlte. 
Die Rezeption unserer Station
So entschieden sie, da nichts Anderes mehr half, dass eine Operation erforderlich sei. Damit verbrachte ich das erste Wochenende und den folgenden Montag unter strenger Aufsicht der Mediziner, bevor man mich am Dienstag in den Operationssaal des Krankenhauses schob.


Zentraler Gang im Parterre
Mir fiel in diesem Tagen sehr deutlich auf, dass man in Russland noch viel zu tun haben wird, um die Ausstattung der Krankenhäuser auf ein uns angemessen erscheinendes und den Fähigkeiten der Ärzte entgegenkommendes Maß zu bringen. Der OP allerdings machte, kurz vor meiner Narkose, auf mich einen recht guten Eindruck, so dass ich relativ ruhig entschlummern konnte. Nach etwa zwei Stunden erwachte ich dann wieder in meinem Krankenhausbett, deutlich benebelt, mit drei kleinen Schläuchen, die in profanen Wasserflaschen aus Plastik endeten. In den folgenden drei Tagen durfte ich also, wann immer ich aufstehen konnte und musste, diese zwei Wasserflaschen mit mir rumschleppen und war nicht nur deretwegen erheblich in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt.
Abendessen: Nudeln und Fleisch
Damit blieb mir auch keine Möglichkeit, der nach meiner Meinung doch stark verbesserungswürdigen offiziellen Verpflegung zu entfliehen. Zum Glück brachten mir Freunde und Kollegen in all den Tagen immer wieder auch Obst und Getränke, so dass ich auch in dem russischen Krankenhaus nicht hungern und darben musste. Tanja und ihre Familie waren wieder einmal mit vollem Einsatz für mich da und halfen mir so, dem Frust immer wieder für einige Stunden zu entgehen. Ohne diese Freunde wäre die Zeit im Krankenhaus für mich wohl nur sehr schwer erträglich gewesen. Denn auch die folgenden vier Tage mit den Nachuntersuchungen und weiterer Beobachtung schienen kaum ein Ende zu nehmen.
Mit Petja ging nur Russisch
Ein Gutes hatten diese Tage allerdings für mich! Da alle Menschen auf dieser Station ausschließlich Russisch sprachen, war ich gezwungen, mich mit meinen rudimentären Kenntnissen irgendwie durchzuschlagen. Fast wie nebenbei lernte ich so in den zwölf Tagen meines Krankenhausaufenthaltes ungefähr genauso viel Russisch wie in dem ganzen Jahr zuvor, denn ich wollte mit meinen Bettnachbarn ja auch mal ein kleines Gespräch führen. Und trotz aller grammatikalischen Grausamkeiten, die mir radebrechend entfleuchten, schienen mich die Leute ganz passabel zu verstehen und wir konnten recht einfache Diskussionen führen.
Ausblick in die Freiheit
Und gestern? Es war für mich das beste Weihnachtsgeschenk, als mir der leitende Arzt bereits morgens verkündete, dass ich nach dem Mittag nach Hause entlassen würde. Jetzt ist Weihnachten und ich habe in diesem Jahr vielleicht das wichtigste Geschenk erhalten, das man sich wünschen kann: die Gesundheit!
Vielen Dank, liebe russische Ärzte und Krankenschwestern! Vielen Dank, liebe Kolleginnen, dass ihr mir in dieser Phase so umfassend geholfen habt! Vielen Dank, liebe Freunde, für eure Besuche und die vielfältige Unterstützung in der ganzen Zeit!

Donnerstag, 6. Dezember 2012

Я болен: Почечные камни


Funkstille! Sendepause!
Draußen winterweiße Wunderwelt,
ich aber sitze hier zuhause.
Was mich da bloß hält?





Sonnenaufgang vor meiner Haustür.

Jetzt bin ich für's Erste an meine 43 qm zwischen hellhörigem Beton gefesselt, denn ich bin krank. Als mich meine Nieren am vorletzten Wochenende ärgerten, war das wohl nur eine kleine Vorwahrnung, denn am Montag hat es mich dann richtig böse erwischt. So musste ich dann auch zuhause bleiben und mich auf der Matratze lang machen, denn Sitzen und gehen war so fast unmöglich. Nun war ich mittlerweile beim Arzt und der hat mit Ultraschall Steinchen gefunden!
Schön, oder?
Was soll ich mit Steinen? Ich hab für diesen Mist gar keine Verwendung, zumal man die Dinger nicht mal zum Hausbau oder Ähnlichem verwenden kann. Da heißt es vorerst, weiter Medikamente einnehmen und, was für mich schon eine ziemliche Grausamkeit darstellt, viel trinken.
Derweil dreht draußen der Winter so richtig auf und zeigt sich heute mal wieder von seiner schönsten Seite. Die ganze Nacht hat es richtig kräftig geschneit und pünktlich gegen Morgen haben sich die grauen Wolken verzogen und der Sonne Platz gemacht. Da sind auch -20°C wunderbar zu ertragen!

Sonntag, 2. Dezember 2012

Тирольский хлеб из бельгийского пекарня

Eine der Hauptsorgen, die man im Ausland wohl immer hat, ist die der Versorgung. Als Student in England war das dortige Brot, dieses pappige Weißbrot, mein größtes Problem - ebenso wie der Kaffee, denn die Engländer tranken damals wie heute auch die Russen fast ausschließlich diesen schrecklichen, löslichen Krümelkaffee, der nicht einmal entfernt wie richtiger Bohnenkaffee schmeckt.
Nun ist das russische Brot bei weitem nicht so furchtbar wie das englische, aber dennoch ist es etwas ganz Besonderes, wenn man mal ein Brot essen darf, das wirklich dem deutschen gleichzusetzen ist. In Nottingham haben wir damals angefangen, unser eigenes Brot zu backen - mit allen Unzulänglichkeiten und Katastrophen, die dabei fast selbstverständlich waren. Soweit muss ich hier zum Glück nicht gehen, denn es gibt ja die belgische Bäckerei in Zentrum. Dort habe ich vor einiger Zeit das Tiroler Brot entdeckt und war sofort davon begeistert: Ein Brot, das dem unseren nicht nur nahekommt, sondern sogar ganz wie zuhause schmeckt! Jetzt fahre ich regelmäßig zum Prospekt Mira und kaufe mir dort ein Brot, das ich zuhause in Scheiben schneide und dann einfriere, um immer mit frischem Brot versorgt zu sein.
Heute, wie auch sonst immer kaufte ich also eines dieser Brote, wobei ich sehr viel Glück hatte, denn es war das allerletzte Exemplar dieser Sorte. Zur Feier des Tages gab es dort auch noch einen frischen Kaffee und eine Mohnschnecke wie bei Muttern.
Und wie komme ich hier an Kaffee? Ja, es gibt hier auch richtigen Bohnenkaffee zu kaufen, aber das nur zu horrenden Preisen. Zudem schmeckt mir diese sibirische Röstung nicht sonderlich gut. Da ist man doch immer glücklich, wenn man fürsorgliche Eltern hat, die sich auch um ihren längst erwachsenen Sohn noch Sorgen machen. In der starken Hoffnung, dass die Pakete auch ihren
Bestimmungsort erreichen, packt mir meine Mutter im Weihnachtspaket auch immer Kaffee ein. Nun ist aber das Osterpaket im April hier nie angekommen und wurde irgendwann wieder nach Deutschland zurück geschickt. Aber glücklicherweise gibt es auch da eine gute Lösung: Micha, mein deutscher Freund, der hier auf dem Flughafen arbeitet, bringt mir öfters von seinen Kurzaufenthalten in Frankfurt/Main Kaffee mit, so dass ich jetzt immer eine richtig gute Tasse Kaffee trinken kann. Und dazu gibt es dann ein frisches Tiroler Marmeladenbrot!
Ich sag's ja: Ich lebe hier wie Gott in Russland. Naja ...

Холодная прогулка на Енисее

Der Park hinter dem Kulturhaus
"Gleich hinter dem 'ДК 1 Мая' da gibt es einen netten, kleinen Park und direkt dahinter kommen Sie an den Jenissej," sagte Mascha aus der 9. Klasse am Donnerstag im Unterricht. "Es ist wirklich schön dort. Wissen Sie, wo das ist?" Und ob ich weiß, wo das ist, denn mittlerweile kenne ich die Stadt besser als so mancher meiner Schüler! Nur diesen Park hatte ich noch nicht entdeckt - so machte ich mir eine virtuelle Notiz: 'Sonntag - Wanderung hinterm Kulturhaus 1. Mai!!!'
Abstieg zum Jenissej
So bin ich also heute Vormittag hinaus in den Schnee bei etwa -16°C, während die kalte Sonne verzweifelt gegen die milchige Brühe aus tief hängenden Wolkenschleiern kämpfte, und fuhr mit dem Bus bis zu der besagten Bushaltestelle. Von dort ging es vorbei an wirklich schönen Häuserfassaden zum Kulturhaus und weiter bis in den Park. So schön und gemütlich es dort sicher in den warmen Sommermonaten sein mag, so kalt und fast abweisend wirkt der sehr kleine, aber auch vorbildlich gepflegte Park im winterlichen Frost, weshalb ich auch schon bald weiter stapfte dem Jenissej entgegen.
Nun sind -16°C in der trockenen Kälte Sibiriens nicht so verheerend wie die gleiche Temperatur im nassen Norddeutschland, als ich dann aber am Ufer des Flusses stand, pfiff mir der Wind direkt ins Gesicht und wollte wie mit Rasierklingen meine Haut zerreißen. Ich biss zwar die Zähne zusammen und marschierte auch eine gute Strecke
durch die etwas verwahrloste Uferböschung, hielt es dann aber doch nicht allzu lange aus, so dass ich schon nach etwa einer Stunde mich auf den Weg zurück in die schützenden Häuserschluchten machte. Es bleiben von dieser kurzen Wanderung aber doch einige bleibende Eindrücke von den verschneiten Landschaften am Jenissej.
Mit dem Bus fuhr ich dann ins Stadtzentrum zum belgischen Bäcker, um mir dort ein Tiroler Brot zu kaufen und einen Kaffee zu trinken - aber das ist schon eine andere Geschichte.
Die Uferböschung auf der anderen Seite - auf der Tatischew-Insel - wirkt auf die Entfernung besser gepflegt.

Donnerstag, 29. November 2012

Добро пожаловать, Дед Мороз!

Noch immer ist November, aber Väterchen Frost fühlt sich schon sehr wohl bei uns. Heute morgen als ich aufgestanden bin, hatten wir etwa -25°C und leichten Schneefall.
Nein, Schnee"fall" ist eigentlich nicht das richtige Wort, denn in Deutschland wie in den meisten Gegenden Europas stellt man sich darunter mindestens erbsengroße Schneeflocken vor, die mit ihrem geradezu erdrückenden Gewicht auf die Erde klatschen, um auf dem warmen Boden einige Minuten zu matschen und sich dann als kleines Rinnsal in den nächsten Abfluss zu ergießen.
Hier bedeutet der Begriff "Schneien" etwa staubkornkleine Schneeflöckchen, die anstatt zu Boden zu fallen, ewig lange in der Luft tanzen. Unten angekommen, überziehen diese Kleinstschneeflöckchen alles mit einer knirschenden, weißen Staubschicht und machen jeden Schritt zu einem Erlebnis für die im Frost geröteten Ohren.
Väterchen Frost streichelt natürlich nicht nur die Ohren (falls diese nicht gänzlich von einer Mütze bedeckt sind), sondern alle freiliegenden  Teile des Gesichts. Von den Augen ergießt sich ein kleines Bächlein salziger Tränen an der Nase entlang, an deren Spitze sich diese Flüssigkeit mit derjenigen der Nase vereinigt und langsam zu gefrieren scheint. Rund um den Mund, am Kinn und auf den Wangen tanzen die kleinen Schneeflöckchen mit hochhackigen Schühchen, deren Absätze als kleine Nadeln ganz leicht in die Haut stechen...
Wer mehr erfahren will, soll sich auf die Socken machen und diesen fantastischen sibirischen Winter mit der auch heute strahlenden Sonne selbst erfahren.

Dienstag, 27. November 2012

Примечание: Что происходит?

Wenn man in Deutschland herumfragt, welcher Monat denn der schlimmste sei, werden die meisten wohl des Wetters wegen auf den grauen November verweisen. Für mich persönlich kann ich jetzt sogar auf einen bestimmten Tag setzen: den 25. November! Nein, nicht das Wetter ist schuld, denn bekanntlich scheint in Sibirien immer, naja fast immer, die Sonne, es ist trocken und gibt kaum Wind.
Novemberwetter in Sibirien - kein Grund zur Klage
Im letzten Jahr war es der 25. November, als mir mein Portemonaie mitsammt ziemlich viel Geld und allen meinen Bankkarten gestohlen wurde. Und an diesem Sonntag (dem 25. November!) meldete sich wieder einmal, wie schon im Sommer, meine linke Niere mit einer akuten Nierenentzündung. So fiel meine sonntägliche Wandertour irgendwo in den Außenbezirken Krasnojarsks flach und ich lag erst einmal lang. In Erinnerung an die Schmerzen im August, die dieses Mal zwar nur kurzzeitig aber mindestens ebenso heftig aufflammten, bekam ich ein wenig Panik und rief sofort Natalia an, die mir eine Ärztin besorgte. Auch Tanja war zur Stelle und half mir zuerst einmal mit zwei Medikamenten, die sie in der Apotheke besorgte.
Tanja hilft immer: Danke!
Als die Ärztin dann zu mir nach Hause kam (an einem Sonntag!) war das Schlimmste eigentlich schon überstanden, aber trotzdem verschrieb mir die überaus freundliche Dame eine ganze Liste von Medikamenten (zum Teil echt ekelhaftes Zeug), die ich auch gleich mit Tanjas Hilfe in der Apotheke holte. So fiel zwar meine schöne Sonntagstour aus, aber ich konnte einmal mehr praktisch erfahren, wie unverzichtbar gute Freunde sind, besonders wenn man weit weg von Zuhause ist!
War noch was? Ach ja, das Wetter!
Besucher auf meinem Balkon
In Sibirien scheint ja fast immer die Sonne, ob warm und grell im Sommer oder kalt und milchig im Winter. Wir hatten in den letzten Tagen auch recht milde Temperaturen bei knapp unter 0°C. Doch gestern am späten Nachmittag kam ein scharfer Wind aus dem Norden auf, der sich zu einem richtigen Wintersturm auswuchs. So sank die Temperatur innerhalb weniger Stunden auf -12°C.
Jetzt sind es auch tagsüber etwa -10°C, wozu eben noch der scharfe Wind kommt. Als ich heute in die Stolowaja zum Mittagessen ging, musste ich mit eben diesem kalten Wind im Gesicht laufen und bemerkte jauchzend, dass ich noch lebe. Denn wie hätte ich das Stechen im Gesicht erfahren können, wenn mich die Nierenentzündung vom Sonntag ernsthaft umgeworfen hätte? In den nächsten Tagen wird die Temperatur laut Wetterprognose auf gismeteo noch weiter fallen, so dass wir bis zum Wochenende in den Nächten auch mal die -30°C schaffen werden - und das Ende November/Anfang Dezember! Das wird sicher noch ein spannender Winter in diesem Jahr!

Samstag, 24. November 2012

Круг чтения "Lesefuchs"

Die Fregatte "Lesefuchs"
"Herzlich willkommen an Bord des Flagschiffes 'Lesefuchs'. Wir werden mit der Fregatte 'Lesefuchs', eben jenem Flagschiff, auf dem wir stehen, und den vier Schonern 'Tschick", 'Freak City', 'Polarsprung' und 'Weggesperrt' in See stechen. Wir befinden uns auf einer langen und gefährlichen Reise von Krasnojarsk nach Nowosibirsk, weiter nach Moskau und am Ende hoffentlich auch bis Riga. Ihr seid die Kapitäne der vier Schoner und müsst nun erst einmal eure Mannschaften anheuern und die genaue Segelroute ausarbeiten. Auf unserer langen Fahrt werden uns einige Abenteuer erwarten, aber es lohnt sich, diese Strapazen und einen möglichen Anfall von Skorbut auf sich zu nehmen, denn am Ende werden wir reich belohnt werden ..."
Heute nur drei Kapitäne anwesend
Mit diesen Worten begann vor drei Wochen an einem trüben Samstag der Lesezirkel zur Vorbereitung auf den diesjährigen "Lesefuchs"-Wettbewerb. Als Kapitäne der vier Schoner waren sechs Mädchen der Klassen 10 und 11 gekommen. Inzwischen sind den gefährlichen Abenteuern leider schon zwei Mädchen zum Opfer gefallen, so dass mittlerweile auf jedem Schiff eine Kapitänin das Sagen hat: 
Lisa hat das Kommando auf dem Schoner "Polsprung" und hat für ihr Schiff auch schon die relativ große Mannschaft 
angeheuert, indem sie die wichtigen Charaktere aus dem Buch herausgearbeitet hat. Ebenso vollständig ist die Mannschaft der "Freak City" unter dem Befehl von Katja, die heute auch schon ihre genau ausgearbeitete Marschroute vorstellen konnte. In der nächsten Woche haben wir dann auch die Mannschaften des Schoners "Tschick" unter dem Kommando Nastjas und der "Weggesperrt" unter Olesjas Befehl zusammen und können dann auch endlich in See stechen. 

Die Mannschaft arbeitet
???  

 Wie jetzt, ihr versteht mich nicht? Na gut, dann jetzt mal im Klartext!
Wie in jedem Jahr wird es auch in diesem Jahr den "Lesefuchs"-Wettbewerb für die Deutschlerner in Russland und einigen Nachbarstaaten geben, in dem die Besten vier deutsche Jugendbücher lesen und dann in mehreren Runden besprechen. Das Ganze erfolgt in einer Diskussion in Nowosibirsk, wo der Sieger für Sibirien gekürt wird. Dieser sibirische Lesefuchs fährt dann nach Moskau zum Halbfinale Ost, wo er/sie sich mit den besten Lesefüchsen des russischen Ostens misst. 
Und zuletzt wird der dortige Sieger zum Finale nach Riga geschickt, wo dann der beste Lesefuchs des Jahres 2013 ermittelt wird.
Arbeit an der Routenplanung
Damit meine Mädels in Nowosibirsk und dann in den folgenden Runden eine gute Chance haben, habe ich jetzt angeboten, mit ihnen über diese vier wirklich auch interessanten Bücher zu sprechen und deren Inhalt ein wenig zu diskutieren. Also treffen wir uns jetzt jeden Samstag zum Lesezirkel und sprechen über die Bücher "Freak City" von Kathrin Schrocke, "Weggesperrt" von Grit Poppe, "Tschick" von Wolfgang Herrndorf und "Polsprung" von Daniel Westland.
Jetzt bin ich also für ein paar Wochen der Admiral der kleinen "Lesefuchs"-Flottille und habe richtig viel Freude mit meinen vier hochmotivierten Kapitänen.

Sonntag, 18. November 2012

Россия - Зимняя прогулка

Was soll man noch schreiben, wenn man, wie ich am letzten Sonntag, die Größe der sibirischen Natur gesehen hat? Eigentlich war diese Woche sehr interessant gewesen, aber irgendwie bin ich nach dem Blick auf die sibirische Wildnis sprachlos.
Stillleben in der belgischen Bäckerei (ohne Brot)
Gestern hatten wir schon unseren zweiten sehr spannenden Lesezirkel zur Vorbereitung auf den diesjährigen Lesefuchswettbewerb und ich wollte darüber etwas schreiben. Aber wie, ohne Worte? Am Nachmittag bin ich dann in die Stadt zur belgischen Bäckerei gefahren und habe mir dort wieder einmal ein Tiroler Brot gekauft, denn auch wenn das russische Brot ganz gut ist, freue ich mich immer riesig darauf, in der belgischen Bäckerei Brot wie zuhause in Deutschland zu bekommen.
Dort traf ich nach Langem mal wieder Tanja und sie lud mich zu einem Kletterwettbewerb der Stolbisty in einer Sporthalle ein - zum Zuschauen, nicht zum Selbstklettern! Da ich am Sonntag sowieso in diese Gegend fahren wollte, sagte ich auch ohne lange zu überlegen zu.
Ziemlich verrückt, das Ganze!
So fuhr ich heute morgen also nach "Akademgorodok" hinaus, zum äußersten nordwestlichen Rand der Stadt, und schaute einige Zeit den Spezialisten an der Kletterwand zu. Jetzt verstehe ich auch, warum die Leute so problemlos auf die Felsen in Stolby klettern. In der Halle befand sich nicht etwa eine steile, gerade nach oben ragende Wand, sondern hier schloss sich ein Vorsprung an den anderen an - und die Leute kletterten hier scheinbar so leichtfüßig hoch, wie ich auf einen Hügel laufe. Da saß ich nun in einer Sporthalle - aber ich wollte doch eigentlich ein wenig durch die Winterlandschaft bis zum Ufer des Jenissej wandern!
Zwei Wege ...
... im Novemberschnee
So ging ich denn auch bald wieder und schlug mich durch das Akademiker-städtchen bis zum Steilufer des Flusses durch, immer in der Hoffnung auf eine Wiederholung des faszinierenden Ausblicks der letzten Woche. Nun hatte aber sich verstärkendes Schneetreiben eingesetzt und verschleierte den Blick zusätzlich zu dem Nebel, der über dem Jenissej-Tal hing: Ich sah kaum den Fluss! Also zurück und in einen Bus eingestiegen, der mich wieder in das Stadtzentrum brachte. Dort angekommen, ging ich erneut hinunter zum Fluss und hatte jetzt auch Glück, denn hier, direkt am Ufer, war die Sicht um ein Vielfaches besser - nur einzelne Schleier waberten in der kalten Luft.
Kies, mitten im Flussbett und ...
Aber wo war das Ufer? Unterhalb der lang gestreckten Uferpromenade erstreckte sich eine weiße Fläche, die ich anfangs noch als das zugefrorene, extrem flache Flussbett des Jenissej erkannte. Bald aber war auch die Eisfläche und mit ihr alles Wasser verschwunden, so dass ich meine Wanderung mitten im Kies des Flussbettes fortsetzen konnte. Schon lange beklagen die Krasnojarsker zwei Missstände, die der Bau des riesigen Wasserkraftwerkes mit sich gebracht hat.
... mancherorts sogar Büsche im Fluss!
Einerseits friert der Jenissej (zumindest der Hauptstrom) selbst bei dem allerstrengsten Frost nicht mehr zu, weil die Wassertemperatur auch im Winter immer zu hoch ist. Zum anderen, und das ist, wie ich heute sehen konnte, wahrhaft bedrohlich, nimmt der Wasserspiegel dramatisch ab. Als ich dort im trockenen Kies stand erinnerte ich mich fatal an das Tote Meer, das ich im Sommer 1997 von der Negev-Wüste in Israel kommend sah. Auch dort nimmt seit Jahren der Wasserspiegel bedrohlich ab, weil alle Anrainer, allen voran die Israelis, das Wasser des Jordanflusses zur Bewässerung ihrer Felder benutzen. Es besteht wohl kaum die Gefahr einer Wüstung in Sibirien, aber die zerstörerische Wirkung des Menschen ist hier wie dort überdeutlich.
Hier ist der Fluss zugefroren, weil das Wasser nur noch eine Handbreit tief ist.
Man kann nur hoffen, dass die Natur nicht mit voller Wucht zurückschlägt und die Staumauer so zerbricht wie die kleine Brücke, die ich in der letzten Woche am anderen Ende der Stadt gesehen habe.