Sonntag, 14. April 2013

Пирсинг в ухе

Manchmal gibt es Tage, an denen man einfach rundum zufrieden ist. Heute ist mal wieder einer dieser Tage! Seit etwa einer Woche ist hier in Zentralsibirien der Frühling voll ausgebrochen, mit milden Temperaturen und viel Sonne, so dass nicht nur (fast) aller Schnee geschmolzen ist, sondern auch alle Straßen und Wege vom Matsch befreit sind.
Am heutigen Sonn(en)tag hatte ich mich mit Tanjusha verabredet, damit wir ihre Bewerbung für ein Studium in Deutschland besprechen können. Und damit das alles nicht so trocken vonstatten geht, gab es ein typisch russisches Mittag mit Pelmeni und Smetana, dazu ein toller Salat und zum Nachtisch kleine Frühlingsrollen mit Apfelfüllung. Beim Essen sprachen wir dann über die einzelnen Punkte des Bewerbungsbogens und dachten einige Aspekte ihres deutschen Lebens durch. Ganz nebenbei ging es auch um die Planung meines Abschlusses hier in Russland. Als wir dann beim Kaffee/Tee so am Tisch saßen und zum Fenster hinausblickten, hatten wir den gleichen Gedanken:
'Bei dem tollen Wetter müssen wir unbedingt noch raus!'
Und so machten wir uns auf den Weg zur Tatishewa-Insel mit ihren ausgedehnten wilden Flächen, für eine kleine, ganz geruhsame Wanderung zum Jenissej. Dort wehte dann ein ziemlich frischer, direkt am Fluss sogar beißender Wind, der die Ohren zum Glühen brachte.
Nun hat Tanja mit ihren langen Haaren einen guten natürlichen Schutz gegen Wind und damit einen Vorteil mir gegenüber, der ich dumm genug war, meine Mütze zuhause zu lassen. Dennoch war Tanja diejenige, die zuerst den scharfen Wind am Flussufer beklagte. Warum? Tanjusha hat in ihrem rechten Ohr ein riesengroßes Piercing - ein stählerner "Knochen", der den Horchlöffel zusammenhält. Diese Schmiedearbeit kühlt natürlich im Wind noch zusätzlich, so dass dieses Ohr sich farblich der ehemaligen sowjetischen Flagge annäherte. Tja, wer schön sein will, muss wohl doch leiden!
Jedenfalls hatte ich rechtschaffenes Mitleid mit dem Mägdelein und wir gingen wieder landeinwärts durch einen waldähnlichen Baumgürtel, in dem der Wind auf ein sehr mildes Maß zusammenschrumpfte. Und was macht die eben noch klagende
Tanja? Sie hat doch tatsächlich den Nerv, sich über meine roten Ohren zu mokieren! Hat man da noch Worte? Naja gut, ich bin ja nicht auf's Maul gefallen und hatte natürlich auch noch Worte. Aber all das war natürlich ein richtig schöner Spaß, bei dem ich endlich mal wieder so doof sein konnte, wie ich das gern öfter hätte. Da wir nach der Wanderung noch nicht genug hatten, fuhren wir noch in ein kleines Cafe und bestellten uns dort Kaffee und eine Kleinigkeit zum Essen. So saßen wir dann dort und quatschten und quatschten und ...
Jetzt ist es sicher nur noch ein Klacks, bis mein "Adoptivschwesterchen" in Deutschland studiert!
Jetzt geht am westlichen Himmel - direkt vor meinem Fenster - die glühende Sonne am klaren sibirischen Himmel unter, und ich möchte am liebsten das tun, was dem guten alten Faustus so übel bekommen wäre, hätte ihn dann doch Mephistopheles in sein Reich mitgenommen:
Werd’ ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zu Grunde gehn!

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